Ich trieb meine Ausbildung voran, hielt Augen und Ohren offen und studierte in den Bibliotheken alte Schriften in der Hoffnung auf Hinweise zu stoßen, doch so leicht ließ sich die Prophezeiung nicht finden. Ich übte mich in Geduld. Auch in Dalaran vermutete ich einige ältere Bücher. Es würde noch mindestens vier Zirkel dauern, bis ich das Portal in Shattrath nutzen könnte, also blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich anderen Dingen zu widmen.
Im Schattenmondtal gab es genug Aufgaben, die ich allein zu bewältigen vermochte, doch ihc verlor meine Schwäche als Gruppenkämpfer nicht aus dem Blick. So verschlug es mich eines Abends zusammen mit Khylon und Aeluinya ins Auchindoun in Terokkar, wahrlich kein gastfreundlicher Ort, in dieser starken Begleitung jedoch keine gefährliche Unternehmung – wenn ich denn nicht wieder grobe Fehler machte. Und tatsächlich hatte ich das Gefühl, daß ich mich etwas besser anstellte als bisher. Ich entwickelte ganz langsam ein Gefühl dafür, wann ich Feuergold zurückhalten und wann auf den Feind ansetzen sollte. Ich lernte mich vor den Geistern in acht zu nehmen, die bald zu Schall und Rauch wurden, die bis dahin aber fürchterliche Rache üben konnten und nahezu unverletzlich waren. Ebenso lernte ich die Angreifer in Aels direkter Nähe zu ertragen, ohne kopflos auf sie zuzustürmen. Ael vertrug wesentlich mehr als man ihrem zarten Äußeren nach vermuten mochte, und meine Nahkampfangriffe waren noch immer lächerlich wirkungslos, so daß ich besser daran tat Distanz zu schaffen und meinen Bogen zu spannen. Einmal verfehlte mein Pfeil sein Ziel und traf mitten in die nächste Meute, die sich sogleich auf uns stürzte, doch wir kamen glimpflich davon. Alles in allem konnte ich ganz zufrieden sein – bis wir auf Schwarzherz trafen.
Es war nicht seine Stärke, die mich das Fürchten lehrte, sondern die grausame Macht seines Geistes. In dem einen Moment noch hatte ich meinen Gegner im Visier und schickte einen Pfeil nach dem anderen auf seinen Weg, im nächsten traf mich völlige Machtlosigkeit, etwas Fremdes und Abscheuliches lenkte mich, zwang mich zu Bewegungen, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen konnte. Das Entsetzen wurde von einer Welle der Übelkeit begleitet, als ich registrierte, wie mein Körper sich ohne mein Zutun einer anderen Richtung zuwandte, den Pfeil noch immer zum Abschuss bereit. Das fremde Ding, das meinen Geist wie durch eine ekelerregende, schleimige Wand von meinem Körper trennte und mir jede Kontrolle nahm, verhinderte auch, daß mein Mageninhalt sich über den Höhlenboden verteilte, als mir das Ausmaß des Kontrollverlusts bewusst wurde. In meinem Entsetzen zogen die Sekundenbruchteile qualvoll langsam dahin, als meine Hand sich löste und der Pfeil auf den Todesritter zuschoss. Während ich das Licht der Sonne beschwor, ihn keinen Schaden nehmen und mich nicht auch noch auf SIE schießen zu lassen, bemerkte ich eine Wandlung in Khylon, etwas traf mich, mit einem alles umfassenden Zittern kehrte die Gewalt über meinen Körper zurück, und ein hysterisches Schluchzen vermischte sich mit dem Lachen des nahenden Wahnsinns, als mein Bogen sich endlich wieder folgsam Schwarzherz zuwandte. Glühender Hass, gepaart mit der Verzweiflung des noch nahen Albtraums, begleitete jeden Schuss auf die Bestie, bis sie am Boden lag.
Als wir schließlich diese Hölle verließen, ereilte uns Nurms Hilferuf, und wir alle folgten ihm in die Höhlen des Wehklagens. Ich war froh darüber. Meine Aufgewühltheit brauchte ein Ventil, und die unterlegenen Gegner kamen mir gerade recht. Ich ergab mich einem Blutrausch, um nicht länger denken zu müssen und das gerade Erlebte abschütteln zu können. Erst als ich gewahr wurde, daß Nurm irgendwo auf unserem Todeszug zurückgeblieben war, kam ich wieder ein wenig zur Besinnung. Schnell war der Angreifer, der ihm den Weg abgeschnitten hatte, erledigt, und von nun an zwang ich mich ein Auge auf den jungen Priester zu haben statt blindlings loszuwüten. Die Erschöpfung war mir an diesem Abend ein willkommenes Geschenk, doch ein noch größeres erwartete mich.
Als hätte sie wieder einmal in meinem Innersten gelesen wie in einem aufgeschlagenen Buch und sofort den Balsam entdeckt, der meiner schmerzenden Seele Linderung verschaffen konnte, fragte Aeluinya mich, ob ich gerne Dalaran sehen würde. Sie rief Khylon und Grímur zu sich ins Rattenloch, damit die beiden das Tor offenhielten, das sie beschwor, und reiste durch den Nether zu mir, um mich hindurchzugeleiten. Es war kühl dort im Nirgendwo. Wie Abermillionen eisige Flügelschläge erzitterte die Luft (wenn es Luft war) auf der Haut. Dunkles schien uns zu beäugen, sich auch näherzupirschen, ohne Gestalt zu erhalten. Düster und bedrohlich und fremd und zugleich fern vertraut und mit einem Beben etwas in mir erweckend umfing mich der Nether. Unbändige Kraft und überwältigende Schwäche, beides zugleich in meinem Sein. Meine Hand in der ihren, sie, mein Anker, mein Band zur Wirklichkeit, meine Reißleine, meine Sicherheit. Konzentriert, wachsam und unerschrocken führte sie mich wieder hinaus, meine Schwäche ergab sich ihr, während meine Kraft noch verweilen wollte.
Es war so ganz anders als die Reise mit Grao. Blieben wir länger zwischen den Welten? Ich wusste es nicht. Unermesslich viel intensiver war das Erleben gewesen, wie berauscht kam ich an und begegnete der Stadt der Städte mit einer Leichtigkeit und Beschwingtheit im Herzen, erfüllt von Freude und Übermut und Sehnsucht und unendlicher Erleichterung darüber, ihr kein Leid getan zu haben.
Der viel erwähnte Münzbrunnen entlockte mir ein Lachen – so groß war die Vorstellung, so klein die Wirklichkeit. Khylon berichtete von den Abwasserkanälen, in denen die Verwandten seines schnurrbärtigen Gefährten lebten. Ael führte mich herum, zeigte mir von der Galerie der violetten Zitadelle aus die eisigen Berge Nordends, die alles einschlossen, und noch während dieser Führung durch die Stadt stolperte ich über ein furchtbar hässliches Wesen, das mich um eine Heimat bat. Sorglos wie ich in diesem Moment war, nahm ich das Waisenkind unter meine Fittiche, und wenn ich es auch nie getan hätte, wäre ich bei klarem Verstand gewesen, bereute ich es nicht. Sein Wunsch die Welt zu sehen war mir Befehl. Ich ließ die Scherbenwelt Scherbenwelt sein und begann mit dem Kleinen Nordend zu erforschen.