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Itarildë

Tauwetter

Die Wünsche meines Pflegekindes trieben mich kreuz und quer durch Nordend. Die Reisen an sich konnte ich nicht wirklich genießen, war mir die Gegend doch noch unbekannt. Ich fürchtete stets, mit dem Kleinen in einen Hinterhalt zu geraten, doch das Glück war uns hold. In der Boreanischen Tundra stießen wir auf freundliche Murlocs, deren Kaulquappen meinem Roo gerne als Spielgefährten dienten. Aus dem traurigen Waisenkind wurde an diesem Tag ein aufmüpfiger, lustiger Kerl, dessen etwas zu großen Augen vor Begeisterung leuchteten. Ich nutzte die Zeit, in der er mit den anderen Kindern herumtollte, um mir die Sprache dieses Stammes grob anzueignen und zarte Freundschaftsbande zu knüpfen. Ein feindlicher Murlocstamm machte ihnen das Leben schwer, und ich tat mein Bestes, um ihre Sorgen weniger werden zu lassen.

Der Weg zwischen den beiden Stämmen führte durch kaltes Meer. Eisschollen trieben auf dem Wasser. Hin und wieder tauchte ein Orca zwischen ihnen auf, die schwarz-weißen Giganten der See, trotz ihrer Größe so anmutig in ihren Bewegungen, wunderschön, doch auch unglaublich tödlich, machte man Bekanntschaft mit ihrem Gebiss. Mir war schon sehr unwohl, als ich zum ersten Mal zu ihnen ins Wasser stieg. Die Kälte presste mir im ersten Moment den Atem aus den Lungen, die Muskeln schienen wie gelähmt, und ich kam mir wehrlos und ausgeliefert vor, doch trotz ihrer Stärke und den grausigen Waffen in ihren Mäulern verhielten sie sich friedlich. Sie hatten es auf leichtere Beute abgesehen. Da zu der leichteren Beute jedoch eben jener Murlocstamm gehörte, der sich gerade rührend um mein Pflegekind kümmerte, suchte ich nach den aggressivsten Exemplaren unter den Giganten und jagte sie, als kleines Dankeschön für die Gastfreundschaft der Winterflossen.

Als wir weiterzogen, war Roo immer noch vom Spielen außer Atem. Seine sonst schlammfarbenen Wangen glühten, und er redete in einem fort. Feuergold und ich warfen uns amüsierte Blicke zu, während das kleine Plappermaul schon einmal die Geschichten übte, die es im Waisenhaus den anderen Kindern erzählen wollte. Wir reisten noch viele Sehenswürdigkeiten ab. Roo blühte mehr und mehr auf – und mehr und mehr brannte er darauf, seinen Freunden im Waisenhaus von seinen Abenteuern zu berichten. So näherte sich der Tag des Abschieds. Mit einem Lächeln, um seine Freude nicht zu schmälern, lieferte ich ihn wieder bei der Waisenmatrone in Dalaran ab. „Wir werden sicher eine gute Blutelfe, wenn wir groß sind, meint Ihr nicht auch, Itarildë?“ fragte er stolz. Ich nickte, streichelte ein letztes Mal seine Wange, die wie alles an ihm in der vergangenen Woche irgendwie an Hässlichkeit verloren hatte, drehte mich um und wischte mir heimlich eine Träne aus dem Gesicht. Für einen kurzen Moment hatten seine Worte ein Bild heraufbeschworen, ein Bild von mir selbst, nicht mit Roo, sondern mit einer kleinen Blutelfe an der Hand, die sich an den Auslagen der „Wunderwerke“ nicht satt sehen konnte und ihren jungen Taurenfreunden alles bei nächster Gelegenheit in den schillerndsten Farben schildern würde… Es war ein Bild aus einer anderen Welt. Die Wirklichkeit war eine andere. Hier wurden Kriege gegen die Geißel geführt, hier kämpfte man ums nackte Überleben, hier wurden Eltern verbrannt und Kinder zu Sklaven gemacht. Hier waren Streiter von Nöten, keine Familien.

In der Tundra wartete Ablenkung auf mich, außerdem stand in Kürze unser erstes Training an. Ein großer Tag erwartete mich. Die Namen derer, die ich aus den Geschichten kannte, die man sich am Lagerfeuer erzählte, um müden Streitern frischen Mut zu geben und den Geist des Kriegers in den jungen Gemütern zu erwecken, würden bald ein Gesicht erhalten. Helden, die in Orgrimmar besungen wurden, würden mich in der Kunst des Gruppenkampfes unterweisen. Während ich einige kleine Aufträge ausführte, versuchte ich mich zu sammeln, um konzentriert bei der Sache zu sein, wenn der Ruf der Streiter erklang.

Früher als erwartet wurde ich zum Nexus gerufen. Aeluinya war noch nicht da, und so lauschte ich angestrengt auf das Flügelschlagen ihres Netherdrachens. Der Gedanke, dem großen Krieger oder dem ehrwürdigen Schamanen ohne Rückhalt zum ersten Mal zu begegnen, machte mich nervös. Doch die Hexenmeisterin ließ sich Zeit. Als wir schließlich vollzählig waren – Wargrok, Gorrtak, Grímur, Aeluinya und Pizfip und Feuergold und ich -, erhob der Schamane die Stimme und erklärte uns geduldig, wie wir im Inneren des Nexus vorgehen würden. Ich war die einzige, die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen hatte, und so hatten sie das Terrain nach meinen Fähigkeiten ausgesucht. Wargrok würde die Reihenfolge vorgeben, in der wir uns die Gegner vornehmen sollten. Gorrtak spielte den Lockvogel und versuchte die Feinde auf sich zu konzentrieren, während Aeluinya und ich aus sicherer Entfernung zusätzlichen Schaden zufügten und Grímur seine Fähigkeiten als Heiler einsetzte, um uns bei bester Gesundheit zu halten.

Nach einer Aufwärmphase trug man mir auf meine Eisfalle auszulegen. Ich schluckte. Zwar hatte mein Lehrer mir beigebracht, wie ich die Falle zu präparieren hatte, doch ich hatte sie später nie wieder angewandt. Meine Spreng- und Frostfallen waren mir lieber. Die Mühen der Eisfalle waren vergebens, sobald sich ein Pfeil in Richtung des eingefrorenen Feindes verirrte oder Feuergold seine Attacke nicht rechtzeitig abbremsen konnte, wenn die Falle mitten in seinem Angriff zuschnappte. Andere Fallen waren wesentlich unempfindlicher, aber gut… Ich versuchte es. Die Tatsache, daß Gorrtak die Gegner hineinlockte, bewahrte mich immerhin vor der Blamage alle sehen zu lassen, wie schlecht ich damit umzugehen wusste. Wir eröffneten das Feuer erst, als klar war, welches Ziel wir gefahrlos anvisieren konnten.

Nicht immer gelang es mir Wargroks Anweisungen Folge zu leisten. Hin und wieder diktierte mir Auge statt Ohr mein Ziel, nicht weil ich seine Einschätzung anzweifelte, sondern weil ich es gewohnt war meinem Instinkt zu folgen. Im Kampf war ich immer auf mich gestellt gewesen, selbst bei Ausflügen mit Ael, Grímur und Khylon hatte ich stets selbst mein nächstes Ziel gewählt, und es war eine große Umstellung, auf einmal zu verharren, bis der Schamane das nächste Ziel auserkor, mal ganz abgesehen davon, daß es nicht immer jenes war, welches sich gerade in Schussweite befand. Im Einzelkampf suchte ich mein Ziel oft nach Erreichbarkeit aus. Unter Anleitung zu kämpfen erforderte viel mehr Beweglichkeit. Da ich mich dabei noch sehr ungeschickt anstellte, verlor ich noch oft andere Gegner oder meine Mitstreiter aus dem Blick, was mir beides gleichermaßen wie ein Versagen vorkam. Wie sollte ich zur Stelle sein, wenn ich die Bedrängnis meiner Gefährten gar nicht bemerkte? Mir wurde noch immer ganz flau, wenn ich an den Abend dachte, an dem wir Nurm begleitet hatten – keiner war zur Stelle gewesen, als er angegriffen wurde. Wir hatten den Verletzlichsten unter uns, dem wir unseren Beistand verprochen hatten, einfach aus den Augen verloren. Im Nachhinein allerdings kam mir in den Sinn, daß mir vielleicht noch etwas viel Wichtigeres als nur der Überblick fehlte: Vertrauen.

Den ganzen Abend über hielt ich Feuergold größtenteils zurück, aus Angst, er könne mehr Gegner anlocken als unschädlich machen. In den nächsten Tagen jedoch, in denen wir allein unterwegs waren, brach ich aus unserer alten Strategie aus, probierte Neues, versuchte mir einst Gelerntes wieder in Erinnerung zu rufen und damit herumzuprobieren, bis ich einen Weg fand es mir nutzbar zu machen.

Feuergold und ich hatten einst von Kintan gelernt, wie mein Geist seinen Körper lenken und ich durch seine Augen sehen konnte. Nie hatten wir dies im Kampf gewagt. Jetzt taten wir es. Bereitwillig wie immer ließ Feuergold mich die Kontrolle übernehmen, nachdem ich ihm befohlen hatte sofort zu mir zurückzukehren, sobald mein Geist ihn verließ. Dann lenkte ich ihn auf einen einsam wandernden Untoten zu, immer dichter, bis dieser endlich reagierte. Mit seinem ersten Schlag überließ ich den Falken sich selbst, der mit dem Skelettkrieger im Schlepptau auf mich zuflog. Ich brauchte einen Moment, um mich nach dem Perspektivenwechsel wieder zu orientieren, mein Ziel anzuvisieren und den Bogen zu spannen. Im Duell Elfe gegen Monsterkeine nützliche Taktik, da ich Zeit verlor, doch wir erforschten gemeinsam die Vorzüge dieses Vorgehens. In der nordöstlichen Tundra entdeckten wir Talramas, eine Festung der Geißeldiener, zu der uns ein Auftrag führte und die sich als wunderbarer Trainingsort entpuppte. Die Fährten der Untoten verrieten mir bei vielen Ein- und Durchgängen, daß diese gut bewacht waren. Ich schickte Feuergold vor, so wie wir es geübt hatten. Einen Gegner nach dem anderen führte er so in für mich sicheres Gebiet. Immer wieder musste ich ihn dicht an die Feinde heranführen, damit sie ihn überhaupt zur Kenntnis nahmen. Aus Ecken und Winkeln, selbst aus dicht beieinanderstehenden Gruppen zog er die Ahnungslosen einzeln zu mir. Ich hatte immer gewusst, daß er Gold wert war, doch so viel  Gerissenheit hatte ich ihm nicht zugetraut.

Sehr zufrieden mit dieser Entdeckung, zog ich mich schließlich ins Gasthaus zurück und überdachte die Geschehnisse der letzten Tage. Wir würden unsere Fähigkeiten weiter austesten und vielleicht schon beim nächsten großen Training Nischen finden, in denen wir uns als nützlich erweisen konnten. Und ich würde mich bemühen, mir Feuergolds unendliches Vertrauen in mich zum Vorbild zu nehmen. Wargrok führte uns. Vielleicht war es noch gar nicht meine Aufgabe alles im Blick zu behalten. Vielleicht war es angebracht darauf zu vertrauen, daß der Schamane, dessen Name selbst Thrall mit Hochachtung aussprach, mich vor den gröbsten Fehlern bewahren würde. Ich hatte das große Glück, von mächtigen Streitern begleitet und unterwiesen zu werden. Es war an der Zeit die Möglichkeiten zu nutzen, die dieser geschützte Raum mir bot.

2 Antworten auf „Tauwetter“

Hier wird der alte Schamane aber ganz schön umschmeichelt. *grinst*
Habt Vertrauen in Euch, Jägerin, und vertraut den Begleitern an Eurer Seite. Testet die Möglichkeiten, spielt mit Euren Fähigkeiten und Ihr werdet sehen, wie der Spaß am Kampf immer weiter zunehmen wird.
((und ich muss endlich auch mal weiterschreiben …))

Ich glaube Gorrtaks Erzählungen und zweifle nicht an beider Heldentaten. Wenn Ihr damals nicht so ein Frischling gewesen wäret, hätten die Chroniken sicherlich auch mehr über Euch berichtet, und ich könnte Euch ebenso schmeicheln… Verbucht es unter „Schicksal eines Küken“. 😛

((Jetzt hast du weitergeschrieben, und es ist wie immer wunderschön. Schäm dich, daß du dich so rar machst! 😉 ))

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