Ich hatte mir Antworten und einen klareren Blick auf die Prophezeiung erhofft. Meine Reise zum Wyrmruhtempel war jedoch vergebens. Alexstrasza wusste oder ahnte etwas, daraus machte sie keinen Hehl, doch sie war nicht bereit es mir zu offenbaren. ‚Zu meinem eigenen Besten‘ würde sie erst mit mir über die Zukunft reden, wenn Aeluinya und ich in Eintracht vor ihr stünden. Jeder Widerstand und Protest stieß auf Granit. Die Lebensbinderin, die stets als gütige Hüterin allen Lebens gepriesen wurde, zeigte sich mir in dieser Hinsicht unerbittlich.
Nun gut, wenn sie der Meinung war, es habe Zeit bis ich alt und gebrechlich wäre – bitte. Vielleicht ging es in dieser verdammten Prophezeiung wirklich nur um eine Kerzenflamme, die Ael und ich gemeinschaftlich an ihrem oder meinem 300. Geburtstag löschen würden, weil der Atem einer einzelnen nicht mehr dafür reichte. Früher brauchte sie jedenfalls nicht mit uns zu rechnen. Ich hatte mir die Mühe gemacht den Boten aufzuspüren, der ihr meinen Brief hatte überbringen sollen, und ihn… nun ja, ein wenig unter Druck gesetzt. Sie hatte meine Nachricht erhalten. Wenn überhaupt eine Reaktion darauf zu erkennen war, dann die, daß sie sich noch weiter von mir distanzierte. Sie erinnerte sich, ganz bestimmt – und sie grollte mir. Was hätte ich dem entgegensetzen sollen? Es war ihr gutes Recht. Um meinetwillen hatte mein Vater sie fortgeschickt. Ich hatte sie einfach vergessen. Nie hatte ich auch nur ansatzweise versucht sie aufzuspüren. Als das Schicksal uns wieder zusammenführte, war ich ihr begegnet wie einer Fremden. Und als meine Erinnerungen zurückgekehrt waren, hatte ich nicht einmal den Mut besessen, es ihr ins Gesicht zu sagen. Die Zeit der Schwestern war vorbei. Ich hatte mein Möglichstes getan, dieses Band zu zerstören, das war mir nun klar.
Nichts davon ließ ich vor der Drachenkönigin verlauten, doch sie schien meine Gedanken zu lesen. Ihr überheblicher Rat, die Zeit zu nutzen, um mit meiner Vergangenheit ins Reine zu kommen und mit der Taurin zu beginnen, klang in meinen Ohren wie blanker Hohn. Paukaja gehörte ebenso wie eine mir verbundene Aeluinya einer Zeit an, in die es kein Zurück mehr gab.
Der Besuch in der Drachenöde frustrierte mich, ebenso wie mein schleichendes Vorankommen in meiner Ausbildung. In allen Belangen schien ich auf der Stelle zu treten. Die Zeit des Braufestes, von der ich mir ein paar erholsame, sorglose Tage des Feierns erhofft hatte, erinnerte mich wieder einmal daran, wie gewaltig die Kluft zwischen den großen Streitern und einer kleinen Jägerin wie mir war.
Gorrtak war es, der mir in einer dieser finsteren Stunden seine Unterstützung anbot und mir seinen Schwertarm lieh, als ich ratlos vor zu mächtigen Gegnern stand. Er war es auch, der die erwachenden Streiter und Freunde zusammenrief, um mich noch einmal in den nexus zu begleiten. Ael schloss sich uns an, kühl und unnahbar, ebenso Graodan. Wargrok stieß etwas später dazu. Wo die Kampfgeschwindigkeit es zuließ, legte ich meine Fallen und versuchte wenigstens hin und wieder noch einen Schuss abzugeben, bevor die Gegner zu Boden gingen. Wo ich allein in echte Bedrängnis geraten wäre, bedurfte es lediglich einer müden Handbewegung meiner Gefährten, um einen verderbten Drachkin nach dem anderen auszuschalten. Meine Stärken konnte ich nicht ausspielen. Warum auch hätten sie eine unerfahrene Jägerin vorschicken und damit das Risiken eingehen sollen, wo der kampferprobte Krieger Erfolg (und zugegebenermaßen auch mein Überleben) garantierte? Ich verstand es, aber es nagte an mir. Mehr und mehr gelangte ich zu der Überzeugung, daß ich in dieser erfahrenen Gruppe meinen Platz nicht finden konnte, solange sie mir alle derart in Stärke und Angriffskraft überlegen waren. Doch es waren nicht nur praktische Überlegungen, die mich beschäftigten. Bei den wenigen Begegnungen mit Wargrok hatte die ruhige, besonnene Art des Schamanen und seine Art zu unterrichten mich sehr an meinen Ziehvater erinnert. Gewiss war er niemand, den man zum Feind haben wollte, doch trotz seiner offensichtlichen Größe und Stärke war es stets der Ausdruck seiner Sanftmut und Freundlichkeit, den ich zuerst an ihm wahrnahm. Ich wollte ihm zeigen, daß ich dazugelernt hatte. Ich wollte ihn beeindrucken mit dem, was ich inzwischen trainiert hatte. Ich wollte ihm beweisen, daß ich vorangekommen war seit… Seit ich Mulgore verlassen hatte. Ich wollte, daß er Kintan war.
Mit aller Traurigkeit meines Herzens wünschte ich mir verzweifelt vergangene Tage zurück und hängte mein Herz an alles, was für einen kurzen Moment die Illusion aufrecht erhalten konnte, daß manche Dinge nicht gänzlich verloren waren. Und dann wieder brach die Wirklichkeit über mich herein und mit ihr die Erkenntnis, daß mich diese Illusionen nur enttäuschen konnten. Wargrok war nicht Kintan. Aeluinya liebte mich nicht und würde mir nicht verzeihen. Die Gilde war nicht der Schoß der Familie, nach dem ich mich sehnte. Ich war allein und würde es immer sein, und das gelegentliche Beben der Erde, das immer öfter wie fernes Donnergrollen zu ahnen war, kündigte keine ruhmreichen Schlachten, sondern Verdammnis an.