Vier Tage und Nächte lag ich im Fieber. Vier Tage und Nächte mühte sich Gorrtak ab, um mir in meinen wenigen halbwachen Momenten die Tropfen einzuflößen, die das Fieber senken sollten. Als ich endlich zum ersten Mal wach und gesund an seinem Tisch saß, fühlte ich mich noch schwach und etwas zittrig und nahm dankbar den Becher mit warmer Milch entgegen, den er mir zuschob. Ich trank langsam und musterte ihn zwischen den einzelnen Schlucken verstohlen. Das Veilchen, das sein linkes Auge zierte, schillerte in den prächtigsten Farben. Die Kratzer in seinem Gesicht verheilten bereits. Sein Unterarm war verbunden. Er sah unglaublich erschöpft aus – wahrscheinlich hatte er kaum ein Auge zugetan, seit ich an seine Tür gehämmert hatte.
„Gorrtak, es tut mir entsetzlich leid…“ begann ich, doch er winkte ab. „Berufsrisiko. Ich bin unter die Jäger gegangen. Ihr habt wie ein Wildtier gekämpft, ich habe Euch gezähmt. Ich frage mich nur, wo die Pfeife geblieben ist, mit der ich Euch von nun an rufen kann.“ Ich funkelte ihn an. „Allein mein schlechtes Gewissen hält mich davon ab, Euch das Schienbein zu zertrümmern.“ Er lachte. „So gefallt Ihr mir schon besser. Mit einer gehörigen Portion Wut im Blick seht Ihr gleich viel kräftiger aus.“ Ich sparte mir eine Antwort und riss mich zusammen, um nicht doch ein kleines bißchen zuzutreten. Schließlich wurde er wieder ernst.
„Ita, habt Ihr eine Ahnung, woher Euer Fieber rührte? Der Heiler konnte keine Wunde entdecken, die es verursacht haben könnte. Alamma hält es für möglich, daß die Überanstrengung durch den Kampf gegen ihn schuld sein könnte, immerhin seid Ihr nicht gerade geübt darin die Kraft des Nethers zu nutzen. Allerdings hättet Ihr dann schon länger daran leiden müssen.“
„Was hat Euch das alte Scheusal alles erzählt?“ empörte ich mich. „Genug, um auf dem Laufenden zu sein.“ Er grinste. „Das alte Scheusal steht übrigens auf Eurer Seite, auch wenn Ihr ihn nicht leiden könnt. Wann hat Euch das Fieber befallen?“ – „Mit dem Kampf gegen den Hexenmeister hat das nichts zu tun. Es ging mir ausgezeichnet danach. Bevor ich zu Euch kam, hat mich der Besuch in der Akademie etwas aus der Bahn geworfen, aber fiebrig fühlte ich mich nicht.“ Er runzelte die Stirn. „Habt Ihr die Magie der Schwestern seit dem Kampf mit Alamma noch einmal genutzt? Kurz bevor Ihr zu mir kamt?“ – „Nein, ich… Was soll das? Ihr macht mir Angst…“
Er seufzte. „Der Hexenmeister meinte den Geruch frisch gewirkter Magie an Euch wahrzunehmen. Habt Ihr Euch mit einem Magier oder Hexer angelegt?“ – „Nein. Ich kann es Euch nicht erklären. Und ich möchte auch nicht darüber nachdenken. Dieses ganze Magiegerede… Ich bin eine Jägerin. Ich will damit nichts zu tun haben.“ Der Krieger sah mich lange nachdenklich an. „Gut“, schloss er, „belassen wir es vorerst dabei. Wie fühlt Ihr Euch?“ Die Milch hatte gut getan. „Besser als Ihr ausseht. Legt Euch schlafen.“ Er schien einen Moment lang mit sich zu ringen, nickte aber, als ich betont munter mein Notizbuch hervorholte und nach Feder und Tintenfass suchte.
Sobald sein Schnarchen erklang, klappte ich das Buch zu und schlich mich zur Tür. Ich hatte noch nicht einmal die Klinke berührt, als er mit grollender Stimme rief: „Was zur Hölle glaubt Ihr, was Ihr da tut?“ Ich ließ mir den Schreck nicht anmerken, der mir in die Knochen gefahren war. „Nach einem zuvorkommenden Fluss zum Baden suchen. Ich stinke wie ein verwesender Grollhuf.“ – „Ist mir nicht aufgefallen.“ Orcs! „Ihr geht jetzt nicht allein in die Wildnis. Nach all der Mühe, die ich mir mit Euch gegeben habe, sehe ich nicht zu, wie Ihr Euch von Krokilisken fressen lasst.“ Er machte schon Anstalten wieder aufzustehen. „Bleibt liegen. Ich will baden. Ihr seid der Letzte, von dem ich mich dabei begleiten lasse.“ – „Daß Ihr mich in romantischer Hinsicht niemals zu irgend etwas ermutigen würdet, habt Ihr mir bei Eurem ersten Besuch klar zu verstehen gegeben.“Die Müdigkeit in seiner Stimme machte es mir unmöglich herauszuhören, ob Belustigung oder Verletztheit in seinen Worten mitschwang.“Ich werde den Falken mitnehmen“, antwortete ich nur.
„Jägerin?“ – „Ja?“ – „Seht zu, daß Euch die Krokilisken am Stück verschlingen. Ich bin zu müde, um Euch zusammenzuflicken.“ – „Gute Nacht.“
„Ita?“ – „WAS?“ – „Kommt heil zurück.“
Grinsend verließ ich das Haus und schloss leise die Tür. Feuergold stürzte begeistert auf mich zu und gurrte. Ich kraulte ihm den Kopf und begutachtete ihn. „Du bist fett geworden, mein Freund. Hast dem armen Krieger die Haare vom Kopf gefressen, was?“ Er ignorierte meinen Spott. Gemeinsam passierten wir die Tore Orgrimmars und suchten mir eine versteckte Badestelle. Das kühle, klare Wasser tat gut. Mit einer Mischung aus Kräutern und Sand – ein armseliger Seifenersatz, aber besser als nichts – schrubbte ich mir den Dreck und Gestank von der Haut und wusch mir mehrmals die Haare. Die Kleider, die ich am Leib getragen hatte, unterzog ich ebenfalls einer gründlichen Reinigung. Zu spät fiel mir auf, daß sich in meinem Rucksack nur noch ein einfaches Festtagskleid als Ersatz befand. Großartig… Wenigstens dämmerte es schon. Mit etwas Glück würde mich niemand in diesem Aufzug erkennen. Immerhin fühlte ich mich belebt und erfrischt und voller Tatendrang. Meine Rüstung musste dringend poliert, der Köcher gefüllt werden, und mein Bogen konnte eine frische Sehne gebrauchen.
Auf dem Weg zurück in die Stadt redete ich leise mit Feuergold. „Was denkst du? Ich bin ein verdammter Idiot, nicht wahr?“ Sein Schweigen sprach Bände. Ich warf ihm einen mageren Fisch zu, den er im Ganzen herunterschlang. „Ich weiß. Du bist jetzt Besseres gewohnt. Vergiss es. Von nun an wird wieder auf die schlanke Linie geachtet.“
Vor dem Feuer trockneten meine Kleider schnell. Die Rüstung glänzte wieder, als ich mich in der Stadt nach einem fähigen Bogenmacher umsah, der zu dieser späten Stunde noch seine Künste anbot. Bestens bevorratet für die folgenden Tage kehrte ich zurück – und hielt inne. Es war nicht die Tatsache, daß Feuergold von Gorrtak eine Extraration Fleisch ergaunerte, die mich stutzen ließ. Damit hatte ich fast gerechnet. Doch dabei blieb es nicht. Der Orc streckte seine große, grüne Hand aus – und kraulte meinem Drachenfalken den Kopf.
Er berührte meinen Begleiter.
Erstaunlich genug, daß Feuergold ihm dafür nicht sofort mindestens drei Finger abbiss. Noch erstaunlicher allerdings, daß ich nicht gegen den Impuls ankämpfen musste, ihm einen Pfeil nach dem anderen in den Arm zu schießen oder ihn auf der Stelle zu töten. Ich stand einfach nur da und ließ es geschehen. Nahm das Bild in mich auf. Ertrank darin wie in einer Welle süßer Machtlosigkeit. Es dauerte lange, bis ich mich genügend gesammelt hatte, um ihm ins Haus zu folgen.
„Jägerin! Ihr seid den Krokilisken also entkommen“, begrüßte er mich munter. Die paar Stunden Schlaf hatten ihm offensichtlich gut getan. Ich nickte nur und begann meine Rüstung anzulegen. „Wo wollt Ihr nun schon wieder hin? Solltet Ihr Euch nicht noch ein wenig Ruhe gönnen?“ Ich nahm meine Taschen an mich und wandte mich ihm zu. Endlich brachte ich den Mut auf ihm in die Augen zu sehen.
„Ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt, Gorrtak. Ich stehe für immer in Eurer Schuld. Doch jetzt muss ich gehen. Ich reise nach Dalaran und mache mich morgen früh auf den Weg zum Wyrmruhtempel.“ – „Und ich lasse Euch jetzt nicht allein durch Nordend ziehen. Ihr seid noch nicht wieder bei Kräften. Schlaft Euch aus, und wir brechen morgen in aller Frühe auf.“ – „Ich kann keine Nacht mehr mit Euch allein in diesem Haus verbringen.“ Meine Stimme zitterte. „Ihr habt meinen Falken berührt.“
Verständnislosigkeit zeigte sich in seinem Gesicht. Zweifellos hatte er von den Bräuchen und Sitten der Jäger so wenig Ahnung wie ich von denen der Orcs. „Es tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt habe…“ – „Es hätte mich kränken sollen, hat es aber nicht.“ Ich errötete. „Es ziemt sich nicht, unter diesen Umständen mit Euch hier zu sein. Wenn der morgige Tag hinter mir liegt, werde ich sicher über vieles nachdenken, und ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mich vorerst nicht zur Jagd einladet oder meinem Falken zu nahe kommt. Nicht, wenn Ihr Euch nichts dabei denkt.“ Eine Antwort fürchtend, drehte ich mich um und verließ fluchtartig das Haus. Ich pfiff nach Feuergold, während ich stur die Straße im tränenverschleierten Blick behielt. Doch mein Pfeifen blieb wirkungslos. Feuergold kam nicht. Er zwang mich zurückzusehen. „Was für ein Begleiter bist du nur?“ rief ich, und meine Stimme brach, als ich ihn neben dem Orc schweben sah. „Einer, der sich um Euch sorgt“, antwortete der Krieger für ihn. Schon griff er nach seinen Waffen und Taschen und setzte sich in Bewegung.
„Gut, wir werden in Dalaran rasten. Ich habe versprochen Euch wohlbehalten im Wyrmruhtempel abzuliefern, und genau das werde ich auch tun.“ Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Ich stampfte mit dem Fuß auf und wusste doch, daß ich geschlagen war. Ohne ein weiteres Wort verließen wir Orgrimmar.
4 Antworten auf „Tabus“
Da sind wirklich schöne Zeilen geschrieben worden. War sehr interessant, den Orc mal von jemand anderen beschrieben zu bekommen.

Ich denke, er wird die Jägerin von nun nur noch „Wildkatze“ und den Begleiter „Falke“ nennen
Mehr davon !
Der Orc soll sich gefälligst selbst ans Tintenfass setzen und nicht für sich schreiben lassen.
War aber sehr interessant zu lesen. Vor allem ist Gorrtaks Art wie ich finde sehr gut getroffen. Da hat der Orc wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen. *grinst*
@Gorrtak: Ich hatte wüste Schimpftiraden erwartet. Wo bleiben die? Du gehst ja gelassen mit dem Char-Diebstahl um. Bleibt abzuwarten, ob du das „mehr davon“ nicht schon bald bedauerst…
@Ael: Dem kann ich mich nur anschließen. Da hat Ita nun schon so viel von sich preisgegeben. Ich fände es nur fair, wenn der Orc ihr selbst einen Korb gibt oder sie ermutigt.
Allerdings darf auch Ael sich gerne endlich in die Drachenöde schreiben. Wird Zeit für ein Treffen der Schwestern, meine Liebe. *grinst*
Vielleicht fängt der Krieger nach der Chronik noch etwas Neues….wie „Mein liebes Tagebuch“ ^^