Die Nacht im Rattenloch wurde die längste meines Lebens. Zäh flossen die Stunden dahin. Ich lag auf dem Bärenfell und starrte ins Feuer. Der Blick in die tänzelnden Flammen machte mich müde, doch meine Gedanken wollten nicht zur Ruhe kommen. Würde sie da sein? Hatte sie mir verziehen? Konnte sie sich wirklich erinnern? Bedeutete ihr die gemeinsame Zeit unserer Kindheit vielleicht sogar ähnlich viel wie mir? Ich hoffte so sehr und fürchtete mich zugleich. Zum wiederholten Male wünschte ich mir, ich könnte ihr an einem anderen Ort gegenübertreten. Der Gedanke an die Drachenkönigin war mir unangenehm. Sie hatte etwas an sich, das ich nicht mochte. Etwas Kaltes, Berechnendes lag hinter ihrer Freundlichkeit verborgen. Ich erschauderte.
„Jägerin?“
„Nur ein Luftzug. Schlaft weiter.“ Dem Orc, der ein Stück von mir entfernt auf einem weiteren Fell sein Lager aufgeschlagen hatte, entging einfach nichts.
„Auch Ihr solltet die Augen zutun. Es führt zu nichts, wenn Ihr die ganze Nacht grübelt. Sie wird auf Euch warten. In ein paar Stunden seht Ihr sie wieder.“ In diesem Moment verfluchte ich ihn dafür, daß er mit seiner ganzen Art den Wunsch in mir weckte ihm nahe zu sein. Gerne hätte ich mich in seine Arme geflüchtet wie ein krankes Tier sich in seine Höhle. Verdammter Orc! Er sollte überheblich, dumm und grob sein, nicht so aufmerksam, feinfühlig und fürsorglich. Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl Aeluinya davon halten würde, sollte sie meine Aufgewühltheit, meine wirren Gefühle für einen Orc bemerken. Es war nicht schwer zu erraten. Ich war ohnehin nicht die Schwester, die sie sich wünschte. Schon als wir uns wie Fremde begegnet waren, hatte ich manches Mal ihre Abscheu bemerkt. Ich wusste, daß sie mich mitunter als eine Schande für unser Volk betrachtete – eine Blutelfe, die als Jägerin durchs Leben ging und damit das Erbe der Hochelfen verleugnete. Meine Neigung zu Gefühlsausbrüchen ließ mich nicht gerade elfischer wirken. Meine Zuneigung zu einem Orc würde die Liste meiner Frevel nur um einen gewichtigen Punkt reicher machen.
Immer wieder fragte ich mich, ob sie bereits im Tempel war, ob ihr die Zeit bis zum Morgen ebenso lang wurde wie mir – und ob sie vielleicht sogar ein wenig froh darüber war mich bald wiederzusehen.
Beim ersten Morgengrauen orderte ich Frühstück und machte mich fertig, um schnell aufbrechen zu können. Dann ging ich hinaus und fütterte Feuergold, der die Gefiederpflege gerne für die Mahlzeit unterbrach. Während er seine Fische verspeiste – den ersten gierig, den zweiten eilig und den dritten beinahe gesittet -, blieb ich bei ihm und beobachtete ihn. Als auch die letzte Schwanzflosse vertilgt war, sagte ich leise: „Entschuldige bitte, mein Freund. Ich war gestern nicht sehr fair zu dir. Ich hätte dich nicht anschreien und deine Entscheidung nicht anzweifeln sollen.“ Er hielt mir den Kopf hin und ließ sich kraulen. Mit einem zufriedenen Gurren versicherte er mir, daß er mir längst schon verziehen hatte.
Zurück im Rattenloch stellte ich fest, daß auch der Krieger inzwischen erwacht war und hungrig die Wirtin anstarrte, die auch augenblicklich ihren schlurfenden Gang beschleunigte und uns kurz darauf unser Frühstück brachte. Gorrtak ließ es sich schmecken, während ich lustlos das Essen hin und herschob. Als sein Blick all zu stechend wurde, widmete ich mich meinem Becher Milch und ließ in einem unbeobachteten Moment die halbe Portion Omelett in meiner Tasche verschwinden. Jedenfalls dachte ich das.
„Der Falke wird sich freuen, daß Ihr Euer Frühstück mit ihm teilt. Sobald Ihr dann Euren eigenen Anteil verspeist habt, können wir uns ja auf den Weg machen.“
„Zu früh zum Essen“, knurrte ich.
„Esst.“ Wir starrten uns an wie zwei Widder, die gleich krachend mit den Köpfen gegeneinander schlagen wollten.
„Zu frühe Mahlzeiten machen fett“, gab ich boshaft zurück und sah betont auffällig auf seinen Bauch. Er brach in schallendes Gelächter aus.
„Was ist?“ fauchte ich beleidigt.
„Entschuldigt, aber…“ Er schnappte nach Luft. „Eine Blutelfe, die über die Ursachen der Fettleibigkeit sinniert – das ist, als ob Euch ein Schwein etwas vom Fliegen erzählt!“ Ich versuchte ihn zornig anzufunkeln, doch konnte ich nicht ganz verhindern, daß meine Mundwinkel verräterisch zuckten. Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und nahm Haltung an. „Im Übrigen gilt dies bei meinem Volk nicht als fett, sondern als stattlich, schreibt Euch das hinter die spitzen Ohren, Jägerin.“
Seine aufgesetzte ernste und stolze Miene gab mir den Rest, ich musste lachen. Er stimmte mit ein. Die Wirtin warf uns schon genervte Blicke zu, als Gorrtak sich wieder fing und auf meinen Teller deutete. „Los jetzt. Ein paar Happen, damit Ihr nicht gleich vom Flugtier fallt.“ Ergeben stopfte ich ein paar Bissen in mich hinein. Was auch immer es hatte werden sollen, es schmeckte wie Schuhsohle, doch ich brachte genug herunter, um einer erneuten Diskussion aus dem Weg zu gehen. Kurz darauf liehen wir uns bei Krasus‘ Landeplatz zwei Flugtiere und steuerten den Wyrmruhtempel an. Das Lachen hatte uns gut getan. Die Spannungen zwischen uns hatten etwas nachgelassen, und Gorrtak provozierte auf dem Flug einen freundlichen Schlagabtausch nach dem nächsten. Doch so brilliant er die Rolle des Unterhalters auch spielte – als wir am Tempel absaßen, sank mir das Herz. Unschlüssig stand ich da und schaute ängstlich über die weiße Landschaft um mich her. Eine warme Hand legte sich behutsam auf meine Schulter.
„Kommt. Die Drachenkönigin erwartet uns“, sagte er sanft. Ich ließ mich von ihm zu Tariolstrasz führen, dankbar, daß er das Kommando übernahm. Selbst auf dem Drachen ruhte seine Hand auf meinem Arm, als wolle er mir durch die Berührung das Vertrauen und die Sicherheit geben, die mir jetzt fehlten. Erst vor Alexstrasza ließ er mich los, um die Königin mit einer Verbeugung zu begrüßen. Ich tat es ihm nach, wenngleich etwas teilnahmslos.
„Seid willkommen, Krieger. Und auch Ihr, Jägerin. Es freut mich, daß Ihr schließlich doch den Weg nach Mulgore hinter Euch gebracht habt.“ Ich nickte stumm. Irgendwo in mir erklang flüsternd die Frage, woher sie das nun wieder wusste, doch in diesem Moment war es mir auch wieder gleich. Wo Aeluinya war, das wollte ich wissen.
„Königin, habt Dank für den freundlichen Empfang. Wir wollten Euch gemeinsam mit Aeluinya Schattenklang und dem Hexenmeister Alamma von Silbermond um eine Audienz bitten. Wäre es wohl möglich sie rufen zu lassen?“ Gern überließ ich dem Krieger das Reden. In Erwartung des bevorstehenden Treffens hätte meine Stimme ohnehin nur vor Aufregung gezittert.
„Ich bedaureEuch enttäuschen zu müssen. Alamma von Silbermond ließ mir die Botschaft zukommen, daß sein Schützling noch nicht bereit sei auf die Jägerin zu treffen.“
„Nun, wenn sie noch nicht stark genug für die Reise ist, werden wir sie im Hause der Schattenklangs aufsuchen und beizeiten mit ihr zu Euch zurückkehren. Habt Da-“
„Ihr versteht nicht ganz, Krieger. Die Hexenmeisterin ist wohlauf. Doch zu diesem Zeitpunkt will sie ihre Schwester nicht sehen. Ich gebe Euch Nachricht, falls sie ihre Meinung ändert.“
Eis. Brechendes Eis. Kühl wehte ein Wind um mich her, heiß pulsierte das Blut. Mit der Verzweiflung erwachte eine Stärke, ein neuer Instinkt. Mein Herz kannte ein Ziel, das mein Kopf nicht begreifen wollte. Ich überließ mich ganz dem, was einen Weg zu kennen schien. Die Luft begann zu zittern, meine Haut erwachte, ich gab mich hin und folgte einem verborgenen Wissen und konnte mich dem nicht mehr entziehen, als ich Gorrtaks Hand in meiner spürte. Irgendwo in unendlicher Ferne erklang seine Stimme, doch ich verstand die Worte nicht mehr. Die Welt war entrückt. Ich zog ihn mit. Mein Geist drängte das Dunkle weiter zurück, um ihm sicheren Raum zu schaffen. Tausend Stimmen riefen mich in einer uralten Sprache, doch ich bahnte uns unbeirrt einen Weg. Dann war es vorbei. Der Wald nahm Gestalt an. Noch ein Zittern, ein Schritt, und wir hatten die Welt zwischen den Welten verlassen. Die Stärke, die mich hierhergeführt hatte, verschwand nun im Nichts. Die Hand in meiner ließ mich los. Ein paar Schritte, und ich fiel auf die Knie. Der Boden unter meinen Händen fühlte sich kühl an. Ich vergrub die Finger darin.
„Ita…“ Er kam näher.
„Ita, geht es Euch gut?“ Nein.
„Jägerin? Wo sind wir?“ Hier. An dem Ort, den niemand von uns je hätte verlassen dürfen.
„Redet mit mir. Verdammt, Ihr habt uns gerade ganz allein durch den Nether geschickt. Ich muss wissen, ob Ihr… Bitte sagt irgend etwas.“
Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich brachte nur ein heiseres Flüstern zustande: „Ich will sie zurück.“
Er zog sanft, aber bestimmt meine Hände aus der Erde und öffnete meine Faust. Bis zu diesem Moment war mir nicht einmal bewusst gewesen, daß ich etwas umklammert hielt. Er wischte bedächtig den Schmutz von dem Medaillon und untersuchte es eingehend, und als er es mir schließlich um den Hals legte, sagte er mit fester Stimme: „Ihr werdet Eure Schwester bald wiedersehen, das verspreche ich Euch. Wenn ihr etwas zu nahe geht, sucht sie oft für eine Weile Abstand. Ihr bedeutet ihr viel.“
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Das Medaillon legte sich kühl auf meine Haut. „Es tut mir leid, daß ich Euch mitgezogen habe. Ihr werdet nach Silbermond reiten müssen um nach Hause zu kommen.“ Er seufzte schwer. „Und wo gedenkt Ihr hinzureisen?“ Ich antwortete nicht.
„Ich kann es mir denken, Jägerin. Es treibt Euch dorthin, wo Euch Gefahr droht. Und wenn die Diener der Geißel eines Tages nicht mehr bedrohlich genug sind, werdet Ihr vermutlich Arthas selbst herausfordern, mit nichts als einer Angel oder einem Zahnstocher bewaffnet.“
„Habt Ihr nicht einen Krieg zu führen?“
„Manchmal ist es ein kluger Schachzug, einen guten Streiter davon abzuhalten in seinen Tod zu rennen.“
Ich legte mich müde auf den einstmals verbrannten Boden und dreht ihm den Rücken zu. „Ich möchte allein sein.“
„Ich weiß. Und wenn ich Euch ließe, würdet Ihr hier eine Weile in Eurem Elend baden und Euch dann irgendwann wie eine Verrückte in einen unüberlegten Kampf nach dem nächsten stürzen. Wenn Euer Lehrer Euch in dieser Stunde noch beistehen könnte, so wie Alamma es bei Ael vermag, dann hätte er Euch jetzt vielleicht geraten weniger impulsiv zu reagieren, den Dingen Zeit zu geben sich zu entwickeln. Ael braucht noch etwas Zeit. Ihr geht gleich davon aus, daß sie Euch für immer verstoßen hat. In ein paar Tagen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, glaubt mir.“
Ich fuhr mit den Fingern über die gravierte Oberfläche des Medaillons. „Warum kümmert Ihr Euch so sehr um mich?“
„Purer Eigennutz“, behauptete er. „Ich will mir die Gunst der Schwestern sichern, bevor ihre Macht sich noch gegen mich richtet.“
Das Medaillon sprang auf. Der Zauber, der die zwei Bilder in den polierten Oberflächen aus Edelsteinen bewahrte, hatte weder durch das Feuer, noch durch die Jahre unter der Erde an Kraft verloren. Tränen liefen mir über die Wangen.
„Ach Ita“, seufzte er, setzte sich neben mich und streichelte tröstend meinen Arm, „fragt doch nicht immer nach dem Warum. Begnügt Euch mit dem Wissen, daß ich nicht von Eurer Seite weichen werde, ehe Ihr wieder glücklich mit Eurer Schwester vereint seid.“
Meine Eltern lächelten mir zuversichtlich entgegen. Auf der rechten Seite erkannte ich in Lunyas und meinen Augen die strahlende Vorfreude auf ein Leben, das wir nie hatten leben dürfen.
Mit einem kranken Knirschen schloss ich das Schmuckstück.
2 Antworten auf „In banger Erwartung“
((Eigentlich wollte Ael doch kommen, aber du schreibst halt schneller als ich.
Nun, die Zeit wird kommen da sie sich sehen und Hand in Hand die Zukunft betreten.))
((Na, ein Glück, daß die Drachenkönigin es Ita wissen lassen wird, wenn Ael ihren hübschen Hintern endlich in die Drachenöde geschafft hat.
Schreib zu!
))