„…erhebt Euch!“
Baroq streckte die tauben Glieder und kam schwankend auf die Beine. Hatte er getrunken? Er konnte sich nicht erinnern. Ein Krächzen stieg in seiner Kehle auf. Mehrmals musste er sich räuspern, bevor ihm endlich ein heiseres Flüstern gelang: „Wo bin ich?“
„Tirisfal. Und jetzt lauft ein paar Schritte. Ich will sehen, wie gut Ihr zuwege seid.“
Baroq gehorchte, obwohl er die Bemerkung des Untoten nicht verstand. Er musste sich erst einmal sammeln. Während er also im Kreis um den faulenden Mann herumging, versuchte er sich ins Gedächtnis zu rufen, was er hier gewollt hatte. Eine Nachricht… Er hatte eine Nachricht überbringen wollen. Und einen Händler aufsuchen. Sollte er einem Händler eine Nachricht zukommen lassen? Nein, das war es nicht ganz… Sein Kopf fühlte sich dumpf an, als wäre er voll Schurwolle gestopft.
„Gut, das reicht. Ihr seid ja wirklich ein Prachtexemplar! So ein schmucker, wohlgeformter Kerl wie Ihr wird sicher den Neid der Damen wecken.“
„Schmuck? Wohlgeformt?“ murmelte er verständnislos. Dann überkam ihn eine schreckliche Angst. Waren die Albträume seiner Kindertage wahr geworden? Mit wildem Blick sah er sich hektisch um und beruhigte sich wieder.
„Keine Gitter“, seufzte er erleichtert.
„Wie meinen?“ fragte sein Gegenüber irritiert. „Nein, keine Gitter. Ihr seid kein Gefangener. Es steht Euch frei Euch uns anzuschließen und Lady Sylvanas zu dienen oder Eurer Wege zu gehen und den Tod so zu verbringen, wie es Euch beliebt.“
„Den Tod? Werde ich sterben?“ fragte Baroq.
Der Untote fasste sich mit einer fingerlosen Hand an die Stirn. „Habe ich schon wieder vergessen das zu erwähnen? Ihr seid schon tot, werter Herr. Hätte Euch inzwischen aber schon selbst auffallen können, nicht? Das Denkvermögen hat offenbar ein wenig gelitten. Oder seid Ihr schon immer von der einfältigen Sorte gewesen? Nur mut, auch die Dummen finden eine Aufgabe bei uns. Wie entscheidet Ihr Euch?“
Baroq kniete vor einer Pfütze nieder und betrachtete sein Spiegelbild. Eine hässliche, beängstigende Fratze sah ihm entgegen – er sah aus wie immer, nur etwas blasser vielleicht, sofern dies noch möglich war.
„Der Nächste wacht gleich auf, also entscheidet Euch! Ich werde gebraucht!“ Die geduld des Untoten war merklich am Ende.
„Tot…“, konnte Baroq nur von sich geben, als würde er die Bedeutung des Wortes nicht kennen.
„Zu schade, Ihr scheint mir nicht bei Sinnen zu sein. – Morris, bringt mir mein Schießeisen! Der Schönling hier dreht gleich durch, glaub ich!“
Da mischte sich ein geisterhaftes Wesen ein. Es hatte eine starke, klare Stimme, die ihm irgendwie vertraut vorkam, als hätte er sie schon einmal in seinen Träumen gehört. „Nicht so schnell, Carter. Um den kümmere ich mich. Nun geht zum Nächsten.“ Carter stieß einen Fluch aus, trollte sich aber. Das sonderbare Wesen wartete, bis er sich entfernt hatte, dann wandte es sich Baroq zu.
„Kommt, wir gehen ein paar Schritte. Ihr habt bestimmt viele Fragen.“ Sie schwebte voran, und Baroq folgte ihr.
„Ist es wahr?“ wagte er nach einer Weile zu fragen. „Bin ich tot?“
„Lauscht Eurem Herzen.“
Baroq versuchte es. Stille. Er tastete nach seinem Puls. Nichts.
„Ich BIN tot“, stellte er bekümmert fest. Und mit einem Mal stürmten die Erinnerungen auf ihn ein. Aimée. Der Markt. Die kreaturen. Die Törtchen. Der Ring und die Botschaft und der heiße Schmerz im Rücken. Er tastete mit einer Hand zwischen die Schulterblätter und fühlte, dass seine Kleider zerrissen und hart von trockenem Blut waren.
„Man hat Euch erstochen, von hinten ins Herz. Ein sauberer Stoß. Ihr seid jetzt untot. Wir haben Euch gefunden und erweckt.“
Baroq nickte langsam. „Untot also. Ich bin ein Untoter.“ Er wartete darauf, dass er es wirklich begriff, doch sein Herz, das nicht mehr schlug, weigerte sich nach wie vor, dies als Wahrheit zu akzeptieren.
„Ein Verlassener“, ergänzte die Lichtgestalt.
„Warum nennen sie sich so?“
„Das werdet ihr schon noch selbst herausfinden. Ich sehe Euch an, dass es Euch fortzieht von hier.“
Wieder nickte Baroq bedächtig. „Ja, ich habe ein Leben, zu dem ich zurückkehren will.“
„Das, mein Freund, ist leider nicht richtig. Was Euch bleibt, ist der Untod. Doch geht Eurer Wege, wenn es Euch richtig erscheint. Wenn Ihr zurückkehren wollt, ist hier immer ein Platz und eine Aufgabe für Euch. Sagt mir Euren Namen, damit ich weiß, wen ich verabschieden muss.“
„Baroq, der Hüter.“
„Nun denn, Baroq der Hüter – zieht Eurer Wege. Die dunkle Fürstin schütze Euch!“
Baroq verbeugte sich und wandte sich um, wurde jedoch noch einmal zurückgerufen: „Baroq – ein Rat noch! Fürchtet die Lebenden!“
Eine Antwort auf „Erwachen“
Oh, wie schön ! Nurm bekommt Gesellschaft !