“Taugror?” Aeluinya schaute erstaunt zum Eingang des kleinen Gasthauses, in dem ein älterer und leicht verwirrt wirkender Taure stand. “Taugror!” Sie sprang von ihrem Stuhl auf und ein schon lange nicht mehr da gewesener Gesichtsausdruck breitete sich über ihren Mund bis zu den Augen aus: sie lächelte. Ihre Augen glänzten vor Ungläubigkeit und Freude und wie von einer gnomischen Apparatur gelenkt, rannte sie auf den Tauren zu. Als dieser erkannte, wer dort auf ihn zustürmte, brach ein freudiges Lachen aus ihm heraus. Seine kräftigen Zähne blitzen in der Nachmittagssonne und seine Arme öffneten sich, um das zierliche Wesen zu empfangen. Aeluinya umarmte den Tauren und grub ihr Gesicht in das dichte Fell ihres alten Freundes. “Verdammt, Taugror, wo warst du?” Sie schloss die Augen. “Wo warst du bloß die ganze Zeit?”
“Vorsicht, kleine Ael, sonst zerdrückst du mich noch.” Taugror packte Aeluinya und hob sie in die Höhe. Beide schauten sich tief und lange in die Augen, doch beide sahen bei ihrem Gegenüber in ein tiefes, dunkles Loch. Viel Zeit war vergangen. Trotzdem spürten beide auch die alte Freundschaft und Vertrautheit. “Der Krieg hat dich gezeichnet, kleine Ael”, sagte Taugror mit gesenkter Stimme. “Dich auch, mein Freund. Dich auch”, erwiderte Aeluinya während sie sanft auf seinen Bauch schlug. Taugror schaute beleidigt zu Seite. “Ich hab dickes Fell. Das ist alles. Was soll daran schlimm sein?” Beide lachten und nahmen an einem der Tische im Gasthaus Platz.
Sie bestellten sich zwei große Krüge mit süßem Met und hoben sie in die Höhe. “Auf …”. Aeluinya stockte. Alles, was ihr jemals wichtig war, hatte sie hinter sich gelassen. Ihre Familie in Form der Gemeinschaft der Streiter, ihren Lehrer. Ihre Schwester. Die Horde sah sie eh nur als Zweckbündnis, aber selbst das hat sie verlassen als sie den Kampf aufgab. “Auf dich, mein Freund”, fuhr sie fort. “Auf meinen alten Freund, den Tauren. Der irgendwann aus dem Nichts auftauchte als ich alleine war, mir Stütze und Zuflucht war. Und der nun wieder aus dem Nichts auftauchte …” Taugror bemerkte ihren traurigen Gesichtsausdruck und dass sich die Umstände ihrer ersten Begegnung anscheinend wiederholten. Er schlug mit seinem Krug kräftig gegen ihren. “Auf uns, Ael. Auf zwei Wandersleute des Lebens, die überall, aber doch nirgends zu Hause sind. Und auf die Erdenmutter, die uns den Weg gewiesen hat, um uns zu finden.” Aeluinya lächelte. “Auf die Erdenmutter”, stimmte sie mit ein und beide tranken einen kräftigen Schluck und genossen den Augenblick.
“So, kleine Ael, ich hab zu trinken und einen bequemen Stuhl. Beginn deine Geschichte. Erzähl mir von deinen Abenteuern.”
Aeluinya schaute über die breiten Schultern des Tauren zum gegenüberliegenden Fenster, vor dem dünne Stoffe im Wind tanzten und immer mal wieder das grelle Licht der Sonne in den Raum ließen. “Die Sonne scheint. Ich mag die Sonne, weißt du, Taugror? Sie ist das Feuer, das die Dunkelheit verzehrt. Sie blendet uns zwar ab und zu, aber sie wärmt uns und hält die Dinge am Leben.” Der Taure nickte. “Niemand sollte in der Kälte der Dunkelheit leben, oder, Taugror?” “Die Dunkelheit gehört zu Mu’sha wie das Licht zu An’she. Nur mit beidem kann die Erdenmutter sehen. Aber, sag mir Ael, hast du den Weg der Schamanen eingeschlagen? Deine Worte verwirren mich.”
Aeluinya lächelte. “Nein, keine Bange, die Elementare müssen sich keine Sorgen machen.” Sie seufzte. “Ich kann dir nicht erzählen, was passiert ist, aber ich kann es dir trotzdem anvertrauen.“ Aeluinya musste nicht lange überlegen und griff in ihren Beutel. Sie holte ihr in schwarzes Leder eingeschlagenes Tagebuch hervor, nahm einen Zettel und schrieb ein paar Zeilen, faltete den Zettel und legte ihn in das Buch hinein. “Nimm dieses Buch, Taugror. Wenn du meinst, dass die Zeit es verlangt, schau hinein und lies. Lies das Buch und lies den Zettel und du wirst verstehen. Und du wirst wissen, was zu tun ist, und die richtige Wahl treffen. Das ist alles, was ich dir geben kann und doch ist es mehr als du vielleicht haben möchtest.” Sie legte das Buch in seine großen Hände, in denen es wie ein Miniaturausgabe aussah, und legte ihre Hände oben drauf. Taugror blickte sie freundlich an und nickte. “Wenn die Zeit es verlangt, werde ich tun, worum du mich gebeten hast. Keinen Moment früher und keinen später.” Aeluinya drückte seine Hände und ein farbenfrohes Leuchten flackerte durch die tiefe Dunkelheit ihrer Augen.
“Nun aber zu dir, Taugror. Was trägst du da für eine Rüstung und was soll dieser Kampfstab? Wie kommst du überhaupt hierher?” Der Taure lehnte sich zurück und schnaubte einmal tief durch. “Ael, ich hab keine Ahnung.”
Er griff sich seinen Krug.
“Du weißt, dass ich die alten Hallen hütete, selbst als sie niemand mehr besuchte. Wahrscheinlich gab es irgendwo neue Hallen und mir hat wieder nur keiner Bescheid gesagt.” Taugror schaute nachdenklich zur Decke und schüttelte dann seinen Kopf. “Ist ja auch egal. Ich hatte genug damit zu tun, neue Rezepturen für Met und Bier zu erforschen. Oh, ich hab da ein paar köstliche Getränke gezaubert, Ael. Die musst du probieren. Warum soll man die Mächte der Natur auch nur zum Kämpfen nutzen? Als erstes muss der Magen im Gleichgewicht sein, dann meinetwegen auch die Welt. Du verstehst das, oder?” Er prostete ihr zu. Aeluinya lauschte freudig seinen Worten. Er konnte ihr schon damals das Gefühl geben, dass für einen Moment all das Leid dort draußen verschwunden war und die Welt nur aus wenigen Metern um sie herum bestand. “Was ist passiert, Taugror?”
“Ein paar Rezepturen waren wohl etwas zu forsch, vielleicht stand ich auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort, aber eines Tages blitzte ein helles Portal oder irgendsowas vor mir auf und zog mich hinein. Ich hatte das Gefühl zu schlafen und doch war ich wach. Ich kämpfte mich durch Gebiete, die mir nicht bekannt waren. Zerklüftete Lande mit farbenfrohen Himmeln. Eis, Schnee. Ja, sogar ein Turnier war dabei – mit schlechten Getränken. Sehr schlechten. Bei der Erdenmutter, wie kann man ein Turnier veranstalten und nicht für anständige Bewirtschaftung sorgen?”
Aeluinya schaute wie versteinert zum Druiden. “Was hast du noch gesehen?”
“Einen riesigen Drachen und wütende Elementare. Schaurig, sag ich dir. Gut, dass es nur ein Traum war. Aber er fühlte sich sehr echt an, das kannst du mir glauben.“ Sie blickte eher ungläubig zu ihm. „Kurz vor dem Aufwachen sah ich noch etwas sehr Verschwommenes. Wie Nebel in weiter Ferne. Einen Orc, der die Horde spaltet und einen Menschen, der sie wieder zusammenführt. Ha, verrückt, was?” Taugror steckte seine Zunge tief in den Krug, um noch an die letzten Reste des süßen Mets heranzukommen. “Naja, und dann stand ich plötzlich hier. Mit dieser Kleidung und dem Stab und – jetzt wirst du lachen – ich kann Druidenzauber. Schau dir das an.”
Er konzentrierte sich, murmelte etwas Unverständliches und verwandelte sich in einen Baum, der mit den Armen die halbe Theke leer räumte.
Während der Wirt irgendwas von “nicht schon wieder” seufzte und einen Besen holte, strich Aeluinya nachdenklich durch ihr Haar. “Taugror, wir müssen zu den Streitern. Es ist an der Zeit, den Wappenrock wieder anzulegen.”
“Wunderbar. Lass uns gehen … nur … Ael, wo sind wir eigentlich?”
Sie packte ihn am Arm, während er wieder seine normale Gestalt annahm, und zerrte ihn nach draußen. Die Sonne brannte in den Augen des Tauren. “Sind das Flugformationen dort am Himmel?”, fragte er erstaunt.
“Taugror, wir sind in Orgrimmar.”
Eine Antwort auf „Ein neues Kapitel beginnt“
Schön, mal wieder etwas Neues zu lesen 😉
Kommt noch mehr ?