Bevor ich anfing die Scherbenwelt zu erforschen, wollte ich erst einmal die Dinge in den vertrauten Ländern erledigen. So war ich gerade in Silithus unterwegs, als ich den Geruch der Hallen gepaart mit etwas sehr Üblem wahrnahm. Ein Finsterer Streiter war in der Nähe, und er schien viele Tage in einer Gruft zugebracht zu haben.
Ich erspähte ihn aus der Ferne. Was ich erst für einen verirrten Angreifer hielt, entpuppte sich aus der Nähe als eine Art Begleiter. Mir wäre nie in den Sinn gekommen einen Ghul zu zähmen, aber gut… Jedem das seine. Als wir uns einander näherten, erkannte ich, dass er auch noch eine Ratte bei sich hatte. Schnell warf ich Feuergold ein Stück Obst zu, bevor er wieder auf falsche Gedanken kommen konnte. Der untote Todesritter grüßte, und wir wechselten ein paar freundliche Worte. Während ihr Herr seine Aufmerksamkeit auf Feuergold und mich lenkte und nebenbei den Ghul im Blick behielt, zwinkerte mir die Ratte plötzlich zu, und nun erkannte ich sie endlich – es war eben diese Ratte gewesen, der wir in den Hallen schon einmal begegnet waren. Ich blinzelte unauffällig zurück. Unser Abkommen war besiegelt. Sie würde ihren Herren nicht ahnen lassen, wie gierig mein Falke sich bei unserem ersten Treffen hatte auf sie stürzen wollen, und ich würde die Extraportion Alterachochkäse nicht erwähnen, die ich ihr als Friedensangebot hingeworfen hatte und die ihr wohl noch viele Tage als geheime Extraration den Aufenthalt in ihrem Bau versüßen würde.
Khylon bekam von all dem nichts mit. Auch Aeluinya schien über den Vorfall in den Hallen kein Wort verloren zu haben, und ich war froh darüber. Der Todesritter machte einen netten und höflichen Eindruck, doch ich konnte außerordentlich gut darauf verzichten seinen Zorn auf mich zu ziehen.
Am folgenden Abend war ich endlich soweit zur Höllenfeuerhalbinsel zurückzukehren. Zu Lande verlor sie etwas von ihrer Schönheit, nicht zuletzt durch die lästige Zahl aggressiver Dämonen, doch der Blick in den Himmel war nach wie vor atemberaubend schön.
Ael tobte währenddessen über die Schlachtfelder, gemeinsam mit Grao. Für einen Orc war er kein schlechter Kerl, trotzdem missfiel mir der Gedanke. Meine Ausbildung ging nur schleppend voran. Es kam mir so vor, als würde der Tag niemals kommen, an dem ich sie bei den großen Kämpfen begleiten konnte. Wie gern wäre ich an Graos Stelle gewesen…
Ich lernte Bashin und Tinuzar kennen. Die Streiter kehrten langsam zurück, und ich stellte überrascht fest, wie sehr es mich freute. Ob Orc, Untoter oder Blutelf – die Grenzen verschwammen ein wenig, war doch allen Streitern eine Freundlichkeit gemein, die meine Vorurteile zerstreute. Vielleicht hätte ich in diesem Kreis zur Ruhe kommen können, wenn die Hexenmeisterin nicht gewesen wäre. Immer wieder lockte sie mich wie die Verführung selbst mit den Versprechungen der Nethermagie, bot sich als Meisterin an, versprach, mich zu unterweisen und mir diese unerschöpfliche Macht in die Hände zu legen. Ich begann mich zu fragen, warum ich dem Drängen nicht einfach nachgab, hatte ich doch inzwischen Hexenmeister kennengelernt, die dem dunkelmagischen Abschaum meiner Familie so gar nicht glichen. Doch es gab etwas, das mich aufhielt.
Kintan und meine Eltern hatten mich den Pfad des Jägers gelehrt. Ich wollte ihr Andenken ehren und wusste genau, dass die dunklen Künste niemals ihre Zustimmung gefunden hätten. Schon der Gedanke an sie weckte mein schlechtes Gewissen, weil ich dem Flüstern der Magie zu gerne lauschte. Ich sollte mich mit dem zufrieden geben, was sie mir mitgegeben hatten: die Möglichkeit, im Einklang mit der Natur zu leben und mich in Genügsamkeit üben, um das Gleichgewicht nicht zu stören. Doch die Magie lockte und flüsterte mir Ausreden und Rechtfertigungen ins Ohr, bis ich mir nicht mehr sicher war, wie lange mich die Achtung vor denen, die mir Zeit ihres Lebens Gutes getan hatten, noch zur Vernunft bringen konnte.
Feuergold biss mir in die Hand, nicht fest genug, um mich zu verletzen, aber mit genügend Nachdruck, um meine volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er schwebte direkt vor mir, der Luftzug seiner Flügelschläge wehte mir ins Gesicht. In seinen silbernen Augen spiegelte sich mein Antlitz, so wie das seine sich in meinen spiegeln musste. Und ich verstand. Hexenmeister hatten ihre Dämonen, Jäger hatten ihre Begleiter, und niemals konnte es anders sein. Die dämonische Magie verstörte die Wesen der Natur. Wann immer wir auf Aeluinyas Pizfip stießen, erwachte in Feuergold die höchste Konzentration. Er ließ das Wesen aus dem Nether nie aus den Augen. Und auch Ael selbst machte ihn bisweilen unruhig. Er hatte sie als eine Gefährtin akzeptiert, doch ein Teil seiner Aufmerksamkeit galt immer ihr, wenn sie uns begleitete. Die dunklen Mächte weckten sein Misstrauen.
„Niemals, nie-, niemals werde ich dich verlassen“, schwor ich ihm, und allein der Gedanke daran zerriss mir das Herz. Ein Jäger, ein Sinn, eine Seele. Ohne ihn würde mein Geist zerfallen und meine Seele verbluten. Zufrieden damit, daß ich seine Mahnung begriffen hatte, schwang er sich in die Höhe, um einen Schlafplatz zu suchen. Während er sich von mir entfernte, überfiel mich die nackte Angst. Etwas Dunkles nahte. Das Schicksal lag auf der Lauer. Ich wollte nach Feuergold rufen, doch ich hatte keine Stimme mehr. Nicht ein Laut drang aus meiner Kehle. Ich wollte seinen Namen denken, um ihn zu mir zu bitten, doch mein Geist war gelähmt. Ich wollte ihn herüberwinken, doch mein Körper war erstarrt. Ich war nur noch Gefühl, nur noch Entsetzen und Angst und sonst nichts. Mir war, als bräche das Ende aller Welten in diesem Moment über mich herein.
Der Moment verstrich so plötzlich, wie er gekommen war. Mein Gefängnis gab mich frei, und ich sank erschöpft zu Boden. Mein Falke war sofort da, bedeckte mich mit seinen Flügeln und suchte nach dem Feind, der mich zu Fall gebracht hatte. „Schon gut, schon gut“, murmelte ich, „keine Gefahr.“ Doch glaubte ich diesen Worten selbst nicht. Der Augenblick mochte frei von Bedrohung sein, doch Unheil kündigte sich an. „Wir sollten ein wachsames Auge auf die Streiter haben, mein Freund. Auf einen von ihnen wartet der Tod.“
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich musste mich vergewissern, dass alle wohlauf waren. Wieder einmal verfluchte ich die Unerreichbarkeit Nordends und machte mich auf die Suche nach dem Grimmling.
Die Tage verstrichen ohne neue düstere Ahnungen, die Streiter waren wohlauf und erfolgreich, und mein unruhiges Herz beruhigte sich wieder. Ich kam mir dumm vor, so aus der Fassung geraten zu sein, wenngleich mich noch lange ein ungutes Gefühl begleitete. Die Streiter wurden stärker. Gorrtak stieß zu uns, nachdem er sich längere Zeit zurückgezogen hatte, und mit lange nicht gesehener Kampfeskraft ausgestattet, schienen die Streiter sicherer denn je. Nur wenn Ael auf dem Schlachtfeld verschwand, überfiel mich noch immer die Sorge, mussten wir uns doch jedes Mal aufs Neue kurz vorher Wortgefechte liefern, die mich entsetzlich reuten, sobald ich sie in Gefahr wähnte. Sie betonte gerne, wie sehr sie alle außer mir und gelegentlich auch Grímur schätzte und ehrte und wie gering mein Erfahrungsschatz und mein Ausbildungsstand waren, und ich konnte es nicht unterlassen sie als böse Netherhexe ohne Charme und Anstand zu beschimpfen. Wie zwei Wildkatzen gingen wir mit gesträubtem Fell aufeineinander los und schreckten mit unserem Fauchen den halben Wald auf. Und jedes Mal, wenn wir uns trennten, wünschte ich mir, ich hätte ihr gesagt, wie lieb und teuer sie mir geworden war.
Immerhin schien sie mir meine Beleidigungen nicht nachzutragen. Als ich sie mitten in einer unserer Streitereien bat, Grímur und mich am folgenden Abend zu begleiten (nicht ohne eine in Worte gekleidete Ohrfeige auszuteilen), stimmte sie sofort voller Freude zu, als hätte es nie eine Auseinandersetzung gegeben. Verrückte, zwiespältige Hexe. Nun gut, ich stand ihr in nichts nach. So sehr ich eben noch auf ihr herumgehackt hatte, so sehr freute ich mich nun auf den nächsten Abend an ihrer Seite.
3 Antworten auf „Finstere Stunden“
Jetzt haben wir eine echte Chronistin bei den Streitern. Wunderbar geschrieben. Ich freu mich schon auf mehr.
Ich kann nur immer wieder wiederholen, wie sehr ich den Schreibstil liebe, mehr, mehr, mehr! Bei der Zeile „Auf einen von ihnen wartet der Tod“ habe ich aber doch glatt eine Gänsehaut bekommen… :-X
Vielen Dank, untoter Freund. Werden wir denn auch bald etwas von Khylons Abenteuern hören? Ich liebe Rattengeschichten und wäre sehr gespannt auf die Dinge, die Schnurri mit seinem Herren erlebt.
Und Du, lieber Grimmling, solltest Du Dich nicht ein wenig fürchten? Könnte ja sein, daß ich Dich sterben lasse, bevor Du 80 Zirkel vollendet hast… Schließlich kann ich es nicht leiden, wenn Du mir voraus bist. *grinst*