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Itarildë

Verschwiegenes Papier

So sehr ich mich auch an den kleinen Fortschritten erfreute, die mein Kampfstil zu machen schien, so sehr frustrierte mich die Suche nach einem Hinweis in den Schriften. In den Büchern fand ich keine Antworten. Noch hatte ich längst nicht alle Bibliotheken abgesucht, doch mich beschlich das Gefühl, daß ich meine Zeit vertat. Falls ich mich irrte – die Bücher waren geduldig. Sie würden warten. Ich war es nicht, und es drängte mich danach etwas anderes zu versuchen. Meine Eltern hatten die Prophezeiung gekannt. Irgendwo mussten sie darauf gestoßen sein… Vielleicht hatten sie irgendwem davon erzählt. Vielleicht konnte mir irgendwer einen Anhaltspunkt geben, wo ich suchen konnte.

Ich musste nach Silbermond. Es widerstrebte mir, und meine Hoffnung war nicht groß, doch die Verzweiflung war umso größer, und so griff ich nach diesem Strohhalm ohne zu zögern. Auf zum Lederer… Wenn ihm denn noch niemand die Kehle aufgeschlitzt hatte, dem alten Ekel. Gewundert hätte es mich nicht. Bei Anbruch der Nacht schlich ich mich zu seinem Haus. Der alte Narr verwahrte seinen Ersatzschlüssel noch immer unter der Fußmatte. Bevor ich mich einließ, spähte ich durchs Fenster. Die Tür zu seinem Wohnraum war verschlossen, doch durch die Schwelle zum Ladenraum schien Licht hindurch. Wahrscheinlich genehmigte er sich seinen Schlaftrunk, um gleich ins Bett zu wanken.

Geräuschlos schloss ich die Tür auf, hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Ja, da war das Knarren der Dielen zu hören, wann immer er sich vorbeugte, um nach dem Glas zu greifen. Auf leisen Sohlen durchschritt ich den Verkaufsraum, den ich so oft hatte fegen und wienern müssen. Zur Rechten lag die kleine Kammer, in der das Leder zugeschnitten und in Kleider und Taschen, Köcher und Buchdeckel verwandelt wurde. Die Kammer, in der ich vor vielen Jahren viele Nächte verbracht hatte, umgeben vom allgegenwärtigen Geruch frisch gegerbter Materialien, der einem wie eine Nadel in die Schläfen stach und die Lunge zerbiss, wenn man zu lange dort verweilte. Ich erinnerte mich an das winzige Fenster, das auch am hellichten Tag viel zu wenig Licht und Luft hereingelassen hatte, das mir aber dennoch ein Grund zur Freude gewesen war, wenn ein hereindringendes Gurren oder eine herabfallende, rotgoldene Feder mir verriet, daß ich nicht ganz allein war.

Zur Linken lag der Wohnraum des Alten, und jene Tür öffnete ich nun. Ich war kein Schurke, aber das Gehör eines alten Trinkers vermochte ich schon noch zu täuschen. Das flackernde Licht des Feuers warf meinen Schatten hinter mich. Dies war der Raum, den ich nur zum Saubermachen hatte betreten dürfen. Es schien, als hätte diese Aufgabe seit meiner Flucht niemand mehr wahrgenommen. Der Boden vor der Feuerstelle starrte vor Dreck. Staub und Ruß hatten sich zentimeterdick auf alle Flächen gelegt. Leere Flaschen billigen Fusels türmten sich vor der Kommode auf, in der er früher seine wertvollsten Schnittmuster aufbewahrt hatte. Die Fensterläden waren verschlossen. Der Mann im Sessel vor mir verströmte einen unangenehmen Geruch nach Schnaps, altem Schweiß und muffigen Kleidern, und angewidert betrachtete ich den Schorf auf seiner Kopfhaut, wo er die Flohbisse aufgekratzt hatte. Was für eine erbärmliche Gestalt… Ich verspürte kein Mitleid. All die Jahre war er hart und aus purer Bosheit verletzend gewesen. Und sein Schicksal hatte er selbst verschuldet, dessen war ich mir sicher. Schon damals hatte er mehr Wein genossen als gut für ihn war. Der Berg Flaschen ließ darauf schließen, daß er den geistigen Getränken inzwischen noch enthusiastischer zusprach.

Ich fasste einen Seidenschal mit beiden Händen, warf ihn blitzschnell über den verlausten Kopf und zog ihn ruckartig nach hinten, nicht fest genug, um ihn zu erdrosseln, aber schon so, daß es ihm das Atmen schmerzhaft werden ließ. „Was wisst Ihr über die Prophezeiung, alter Mann?“ zischte ich ihn an. Er röchelte – nicht, weil der Druck auf seine Gurgel zu stark war, sondern weil er sich am Fusel verschluckt hatte. Erstaunlicherweise hatte das schmierige Glas keinen Schaden genommen. Er hielt es selbst in dieser Situation noch fest, als wäre es sein erbärmliches Leben.

„Ich… weiß nichts…“, keuchte er. Ich verstärkte den Druck. „Denkt nach. Thelis Schattenklang. Er war Euer Freund. Er muss Euch irgend etwas erzählt haben!“ Er griff sich mit der freien Hand an die Kehle und schnappte mühsam nach Luft. Nun begann auch das Glas in der Hand zu erzittern. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin malte Kreise und schwappte schließlich in winzigen Wogen hin und her. „Wollt Ihr mir antworten?“ herrschte ich ihn an. Er nickte, so eifrig es ihm eben möglich war. Das genügte mir. Ich lockerte meinen Griff, um ihm Luft zum Reden zu lassen.

„Ich weiß nichts von einer Prophezeiung. – Halt, lasst mich aussprechen! Thelis berichtete einmal von schlechten Neuigkeiten. Er war sehr verstört, wollte nicht darüber reden. Es war etwas Schreckliches, denn… es hat ihn zu denen getrieben. Nie wäre er freiwillig dorthin gegangen, doch an jenem Tag war er da“, brachte er mühsam und ein wenig lallend mit kratziger Stimme hervor.

„Wer sind DIE? Wo ist DA? Sprecht!“ – „Die Hexer in der Mördergasse. Er war dort. Es hatte etwas mit der Höllenbrut in seinem Haus zu tun…“

Bevor ich merkte was ich tat, hatte mein Kürschnermesser ihn schon der Spitze seines rechten Ohres beraubt. „Wenn Ihr gelogen habt, komme ich wieder und bereite Eurem jämmerlichen Dasein ein Ende. Ihr werdet nicht wissen, wann. Ihr werdet nicht wissen, wo ich Euch aufgreife. Doch ich verspreche Euch, Ihr werdet mir nicht entkommen, also fleht die Titanen an, daß Eure Geschichte sich als Wahrheit erweist!“

Jammernd ließ ich ihn zurück. Noch während ich durch den Ladenraum schritt, hörte ich, wie Flüssigkeit in ein Glas geschüttet wurde. Dem Alten war nicht mehr zu helfen. Mir schon. Zielstrebig marschierte ich Richtung Mördergasse. Irgendwo tief in meinem Inneren verspürte ich Entsetzen über die Kaltblütigkeit, die ich gerade an den Tag gelegt hatte, doch eine Kraft trieb mich voran und ließ kein Verweilen, kein Nachdenken zu. Die Gasse war leer, doch als ich auf das Haus der Hexer zuschritt, trat eine Gestalt heraus und verließ das Gebäude. Feuergold gesellte sich zu mir, Gefahr ahnend. Der Anblick der verhüllten Gestalt trieb mich weiter an. Wer auch immer das war, er oder sie war hier, um mir Antworten zu geben, das spürte ich ebenso, wie ich spürte, daß die Antworten nicht bereitwillig gegeben werden würden. Alles in mir schrie: Kampf! Doch ich nahm weder Stab, noch Bogen in die Hand. Mein Blut pulsierte laut wie die Trommelschläge der Tauren, meine Haut war elektrisiert, ein kalter Mantel schien sich um mich zu legen, und meine Stimme erhob sich wie von selbst zu einem klaren und kräftigen „Halt!“

Die Gestalt drehte sich zu mir um. Ein alternder Schönling, der mich mit spöttischem Blick musterte. „Haltet Ihr das für eine angemessene Anrede, Jägerin?“ – „Für Höflichkeiten fehlt mir heute die Geduld. Ich fordere Antworten von Euch!“ Er strich betont lässig seine Robe glatt, bevor er sich zu einer Erwiderung herabließ. „Mir scheint, Ihr habt Euch verirrt. Fordert von Eurem Jägerlehrer was immer Ihr wollt. Ich jedenfalls habe mit Euch nichts zu schaffen, und nun geht mir aus den Augen, bevor ich von meiner Güte Abstand nehme und Euch die Antwort zukommen lasse, die Euer rüdes Auftreten verdient!“ – „Ich werde nicht weichen, bis Ihr mir sagt, was Ihr mit Thelis Schattenklang zu schaffen hattet.“ – „Nun gut, dann lernt es durch den Schmerz…“, murmelte er, hob die Hände, formte einen Zauber und richtete ihn gegen mich.

Ich zuckte nicht zusammen. Ich ergriff keine Waffe. Ich wich nicht zurück. Die unerschütterliche Gewissheit, daß mich nichts treffen würde, hatte von mir Besitz ergriffen. Ein Schattenblitz schoss auf mich zu, prallte wie an einer unsichtbaren Wand ab und schien an Schnelligkeit und Kraft zu gewinnen, als er kehrtmachte und dem Hexer entgegenflog. Im letzten Moment warf er sich zur Seite, bevor seine eigene Macht ihn treffen konnte. Der überhebliche Blick war einem Ausdruck der Verstörung gewichen, doch schon sprach er fieberhaft die nächste Beschwörung. Ein Dämon erschien, stürzte auf mich zu – und verbrannte, bevor er auf eine Armlänge an mich herankam. Mit einem schaurigen Heulen verschwand er dorthin, woher er gekommen war. Was auch immer der Hexenmeister versuchte, es blieb wirkungslos. Die Luft um mich herum wurde kühl, während mein Blut immer heißer pochte, mein Atem ging tief und schwer, ein sonderbarer Geruch verbreitete sich, doch nichts beunruhigte mich. Ich war keinen Moment lang in Gefahr. Nichts konnte mich treffen. In diesem Moment war ich mir sicher unverwundbar zu sein.

Der Hexer gab auf, ließ seine Hände sinken und stützte sich entkräftet auf seinen Stab. Plötzlich blickte er mir direkt in die Augen. Verstehen schlich sich in sein Gesicht. „Ihr seid… eine der Schwestern!“ brach es überrascht aus ihm hervor. „Bin ich das? Klärt mich auf!“ Er schnaubte und deutete auf das Gebäude, das er gerade verlassen hatte. „Eure Unwissenheit wird von Eurem Leichtsinn noch übertroffen. Wollt Ihr reden, wo die Dunkelheit Augen und Ohren hat? Nach Euch. Und lasst das Vieh draußen.“ – „Nein. Er bleibt bei mir.“ – „Wenn er die Böden verdreckt, werdet Ihr seine Exkremente persönlich aus den Teppichen lecken, das schwöre ich Euch!“ giftete er mich an und ließ uns eintreten. „Als ob Ihr mich zu irgend etwas zwingen könntet…“, dachte ich mir mit einem Gefühl der Genugtuung.

2 Antworten auf „Verschwiegenes Papier“

*grinst* Als ob eine Nethermantin so schnell Angst verspüren würde… Aber danke für die Blumen! 🙂

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