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Itarildë

Nozdormus Prophezeiung

Die Halle der Hexer war leer. Anscheinend brauchten auch Nethermanten von Zeit zu Zeit ihren Schlaf… Der übellaunige Schönling zog alle Vorhänge zu, entzündete ein spärliches Licht und webte einen Zauber, der alles in absolute Stille hüllte. Selbst die leisen, vereinzelten Geräusche der Nacht verstummten auf einen Schlag. Kein verirrter Vogelruf, kein Hufklappern später Reiter in der Ferne, kein gelegentliches Rufen, wenn die letzten Gasthausbesucher sich verabschiedeten. Es war, als hätte ein dicker Mantel alles Leben ausgesperrt. So musste es unter der Schneedecke Winterquells klingen…

„Nun können wir reden. Kein Wort dringt mehr nach außen, so wie auch keines den Weg hinein findet. Wir sind unter uns, Jägerin. Was führt Euch zu mir?“ Seine plötzliche Gesprächsbereitschaft warf mich aus der Bahn. In meiner Wut und meiner Forderung war ich stark gewesen, jetzt fiel die Selbstsicherheit von mir ab, und ich wusste nicht recht, wo ich beginnen sollte.

„Die Prophezeiung“, setzte ich schließlich an. „Mein Vater sprach vor vielen Jahren von einer Prophezeiung, deren Bedeutung ich nun erfahren muss. Ich weiß, daß er bei Euch gewesen ist. Ich bin mir sicher, daß dieser Besuch mit der Prophezeiung zu tun hatte.“

„Thelis Schattenklang.“

„Ja.“

„Ich erinnere mich, Jägertochter. Genau wie Ihr hätte er am liebsten einen großen Bogen um mich gemacht und konnte sich nur mühsam beherrschen mir nicht vor die Füße zu spucken. Seine Not trieb ihn hierher. Er saß genau dort, wo Ihr jetzt sitzt. Der gleiche Zauber der Verschwiegenheit schützte unsere Unterredung. Allerdings gebe ich zu, daß ich aufgrund persönlicher Interessen eher zum Gespräch mit ihm bereit war.“

„Was für Interessen waren das?“ fragte ich misstrauisch.

„Die blanke Neugierde. Thelis war mir nicht unbekannt. Als Kinder besuchten wir den gleichen Lehrer. Heute bin ich der beste Lehrer, den ein Hexenmeister in Silbermond finden kann. Als Kind zeigte ich bereits großes Talent. Aber Euer Vater… Er war begnadet. Die Nethermagie war seine einzig wahre Bestimmung. Es war eine Schande, daß er das aufgab. Ich wollte wissen, was ihn dazu trieb. Das ist alles.“

„Die Liebe, mehr nicht…“ sagte ich gedankenverloren. Natürlich würde er es nicht verstehen. Kein Hexenmeister tat das. Sie ahnten, wie sehr es ihn manchmal gequält hatte. Ich wusste es. Ich wusste aber auch, was Liebe zu dulden bereit war und was sie mit einem Lächeln ertrug.

„Ja, das waren seine Worte. Aber das soll uns heute nicht beschäftigen. Manche Geheimnisse kommen eben nie ans Licht.“

„Was wollte er von Euch?“

„Er brauchte jemanden, mit dem er über die Prophezeiung reden konnte. Jemanden, der beurteilen konnte, welche Fähigkeiten bei einem Kind noch als Talent ausgelegt werden können, und welche sich nur durch die Erfüllung der Prophezeiung erklären lassen.“ Ich konnte ihm nicht ganz folgen, also bat ich ihn: „Erzählt mir von der Prophezeiung.“

„Wenn Ihr im Gegenzug meine Neugier stillt… Nozdormu prophezeite die Geburt zweier Schwestern, die über die Maßen miteinander verbunden sind. Das Band zwischen ihnen verleiht ihnen große Macht. Bereits im Kindesalter sollen beide in der Lage sein, ihre magischen Kräfte ohne Anleitung eines Lehrers zu erwecken und sie wachsen zu lassen. Solange sie zusammen sind, können sie einander zu den größten Hexen Azeroths machen, noch bevor die Zeit ihrer Jugend endet. – Ihr seid ein Einzelkind, Jägerin. Und doch protestiert Ihr nicht. Warum?“

„Wer sagt, daß ich tatsächlich eine der Schwestern bin? Mein Vater wird sich getäuscht haben. Mit Magie habe ich nichts zu schaffen, und -“

„Oh nein, Jägertochter, was für ein plumper Versuch! Habt Ihr vergessen, daß Ihr mir vor wenigen Augenblicken dort draußen mit den reinsten Kräften des Nethers Paroli geboten habt?“

„Das war nicht…“

„Was?“ herrschte er mich an. „Wollt Ihr mir erzählen, ich verstünde die Nethermagie nicht zu erkennen? Ich?“

Ich schwieg. Es war mir unbegreiflich, wie ich etwas getan haben sollte, aber er hatte recht. Was da draußen passiert war… Es hatte sich angefühlt wie der Kontakt mit dem Nether, es hatte gerochen wie der Nether, es hatte ganz den Anschein gehabt… Aber ich hatte doch nichts getan! Meine Verwirrung war dem Hexer nicht entgangen, und er beruhigte sich wieder.

„Ihr scheint noch ahnungsloser zu sein als ich dachte. Nun gut. Wenn Euer Vater sich nun nicht irrte – wer ist die zweite Schwester?“

„Wie Ihr schon sagtet, ich habe keine.“

Seine Stimme nahm eine sonderbare dunkle Färbung an, die mich schwindelnd machte. „Wer ist sie, nach der Euer Herz schreit, wenn sie nicht bei Euch ist? Um wen kreisen Eure Gedanken bei Tag und bei Nacht? An wessen Seite könntet Ihr friedlich in den Tod gehen…?“

Zu spät bemerkte ich, daß sein intensiver Blick und seine drängende Stimme nur dazu dienten, meine Aufmerksamkeit von seinen Händen abzulenken. Ehe ich reagieren konnte, traf mich sein Zauber. Die Welt wurde Nichts. Aus dem Nichts erstand sie wieder, fremd, aber ganz real. Harter, steiniger Boden unter meinen Füßen. Ein pfeifender Wind – wenigstens die gespenstische Stille war verflogen. Der Himmel ähnelte dem der Höllenfeuerhalbinsel. Das Land vielleicht auch ein wenig, nur waren hier keine Wildtiere zu sehen. Auch nicht zu hören… Das einzige Geräusch, das ich ausmachen konnte, war tatsächlich das Pfeifen und Heulen des schneidenden Windes, der mir mit seiner Schärfe Tränen in die Augen trieb. Von ein paar Felshügeln abgesehen, war die Landschaft flach und kahl. „Verfluchter Hexenmeister“, murmelte ich, „hat mich direkt in die Verdammnis geschickt.“

Plötzlich erklang im leblosen Lied des Windes ein Schrei, und mein Herz zog sich zusammen. Die Stimme, die da in Todesangst zu mir drang, war die meines Falken. Dort, hinter dem Felsen – ich rannte. Nur ein Gedanke erfüllte mich: Feuergold retten. Die Verzweiflung in seinem Ruf ließ mich Schreckliches ahnen. Ich rannte wie die Geparden und verfluchte das weite Land, das den Blick trübte. Die Felsen waren weiter entfernt als ich dachte. Endlich verringerte die Distanz sich deutlich. Während ich den Hügel umrundete, zog ich schon Pfeile aus meinem Köcher, um schneller schießen zu können – und ließ sie samt Bogen fallen, als ich die Situation erfasste. Kein Angreifer. Jede Horde Dämonen wäre mir lieber gewesen als diese Teufelei.

Zwei Scheiterhaufen brannten. Der Wind ließ die Flammen hochlodern, riss aber auch den Rauch sofort mit sich, so daß er aus der Ferne nicht auszumachen war. Zwei Pfähle in ihren Mitten. Mein Herz, mein Geist, meine Seele, mein Feuergold in den Flammen, sein verzweifelter Blick, seine Schreie, die Flammen, die an seinem Gefieder leckten… In größter Pein schrie ich auf und rannte, rannte, während seine Schreie sich ins Unendliche steigerten und die Flammen das lebendige Fleisch versengten. Ich rannte an ihm vorbei auf das zweite Feuer zu, rannte durch die sengende Hitze und schnitt mit glühender Klinge Aeluinya los, die vom Rauch ohnmächtig geworden war. Während ich sie aus den Flammen zog, verklangen die Schreie meines Begleiters, meines Lebens, und sein Blick wurde starr und tot. Behutsam legte ich Ael auf den Boden und öffnete meinen Wasserschlauch, um die letzten hartnäckigen Flammen in ihren Kleidern zu löschen, als sie die Augen aufschlug. Mit einer fremden, männlichen Stimme sprach sie: „Ich wusste es.“

Und wieder das Nichts. Meine Hände tasteten noch immer nach dem Wasserschlauch, als ich schon wieder die Wände der Hexerhalle erkannte. Das verbrannte Fleisch, das eben noch von meinen Händen übriggeblieben war, war wieder durch gesunde, unversehrte Finger ersetzt worden. Meine Rüstung war intakt. Feuergold liebkoste mich mit seiner Schwinge. „Ael…“krächzte ich, noch immer nicht ganz angekommen.

„Es war nicht real. Ihr habt gesehen, was ich Euren Geist glauben ließ. Anbei, Ihr solltet dringend lernen, Euren Geist vor derartigen Übergriffen zu schützen.“

„Was..? Warum…?“

„Zum einen hat Euer freches Auftreten eine Bestrafung verdient. Zum anderen wollte ich uns Gewissheit verschaffen. Ihr seid eine der Schwestern. Und ich hatte auch recht, was meine Vermutung bezüglich der anderen betraf.“ Noch immer lag Verwirrung in meinem Blick. Er seufzte. „Die Prophezeiung. Ihr erinnert Euch vielleicht? Deswegen seid Ihr hergekommen.“

Ich nickte.

„Es heißt, die Schwestern seien wie Eis und Feuer, wie Licht und Schatten, Tag und Nacht, doch das Band zwischen ihnen ist stark. In tiefster Liebe sind sie sich zugetan, nichts können sie über die andere stellen, und das unterscheidet sie von allen um sie herum. Ihr seid eine Jägerin. Ich verachte Euresgleichen, doch das heißt nicht, daß ich nichts über Euch weiß. Ein Jäger, der die Wahl treffen muss, seinen Begleiter oder seinen elfischen Gefährten zu retten, wird sich immer für den Begleiter entscheiden. Ihr nicht. Ihr hättet Euren Falken sterben lassen.“

Feuergold legte seinen Schnabel in meine Hand, eine Geste der bedingungslosen Hingabe und des größten Vertrauens. Er grollte mir nicht. Er verstand es vielleicht nicht, aber er wusste, wie sehr ich ihn liebte und daß ich mein eigenes Leben für seines gäbe. Nur Aeluinyas – das nicht.

Angewidert schaute der Hexenmeister zur Seite, bevor er fortfuhr: „Schon vor langer Zeit hatte ich den Verdacht, daß in Aeluinya noch viel mehr steckt. Ich bin nur nie darauf gekommen, daß sie das Kind sein könnte, das Euer Vater einst fortbrachte.“

„Ihr kennt sie?“ stellte ich verwundert fest. Er verzog das Gesicht. „Ihr solltet Euch in Zukunft wenigstens vorher informieren, wen Ihr mit Euren Fragen zu belästigen gedenkt. Ich bin Alamma. Aeluinya war meine Schülerin.“ So fügte das Schicksal also wieder alles zusammen…

„Was steht noch in der Prophezeiung?“

„Gemeinsam werden sie die Flammen bezwingen oder in ihnen aufgehen.“

„Welche Flammen? Sprecht Ihr von der Brennenden Legion? Oder dem Flammenden Schwert?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich kann es Euch nicht sagen. Und ich werde auch nicht den Versuch unternehmen, Euch die Prophezeiung zu deuten. Rätseln könnt Ihr selbst. Oder geht zur Drachenkönigin. Wenn jemand mehr darüber weiß, dann sie.“

Damit konnte ich leben. Eine neue Spur… Ich stand auf und verbeugte mich. „Habt Dank für das Gespräch.“

„Ein Rat noch, Jägertochter…“

Ich hielt inne. „Ja?“

„Begegnet der Lebensbinderin mit Respekt und Anstand. Jetzt geht. Und bestellt Aeluinya meine besten Grüße.“

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