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Itarildë

Verbannung

Ich kämpfte mich unzufrieden durch die Drachenöde. Vom Wyrmruhtempel hielt ich mich fern, gab es doch genügend Dinge in Gallgrim und Agmars Hammer zu erledigen. Der Anblick der weißen Landschaft gab mir keinen Frieden mehr. Ich fühlte mich von Feinden umgeben und konnte den Bewohnern keine freundschaftlichen Gefühle entgegenbringen. Sie waren Auftraggeber, mehr nicht. Ich kam ihnen zu Hilfe, um meine Taschen zu füllen, auf daß ich irgendwann das nötige Gold für den Reitlehrer beisammen hätte. Als ich den Federschmuck eines äußerst unangenehmen Vogels im Smaragddrachenschrein ablieferte – eine Trophäe, die ich nur dank Gorrtaks Unterstützung hatte erbeuten können -, teilte mir meine Auftraggeberin mit, daß Alexstrasza mich zu sehen wünschte. Hatte sie es sich anders überlegt? Würde sie nun ihr Wissen mit mir teilen?

Ich rief mein kürzlich erworbenes Zhevra und saß auf, um die Drachenkönigin nicht warten zu lassen. Trotz meiner Eile genoss ich den Ritt – mein Falkenschreiter mochte optisch mehr hermachen, doch das Zhevra galoppierte viel weicher und wiegte mich im Sattel, statt mich auf Stolperschritten durchzuschütteln. Den Wyrmruhtempel vor Augen, ließ ich es in den Schritt fallen, um ihm etwas Zeit zum abkühlen zu geben. Ich gab die Zügel nach, ließ es den Hals strecken und schnauben und sah mich suchend um. Diese verdammte Gegend war offensichtlich zu gefährlich, um einen Stallburschen zu beschäftigen. Ich saß ab, lockerte den Sattelgurt, legte dem schwitzenden Tier eine Decke über – an seiner Kondition würden wir arbeiten müssen – und band es fest in der Hoffnung, daß es nicht von einem fallenden Drachen erschlagen werden würde. Mit etwas Schnee wusch ich mir die gröbsten Spuren der letzten Kämpfe und der Reise von Gesicht und Händen, strich noch einmal die Kleider glatt und atmete tief die klare Winterluft ein, bevor ich mich Tariolstrasz zuwandte und ihn um Audienz bei der Königin bat.

„Der Drache wird Euch zu ihr bringen. Sie erwartet Euch bereits, Jägerin.“

Wie immer ergriff mich Ehrfurcht, als ich auf dem Rücken dieses mächtigen, edlen Wesens saß. Die Kraft seiner Schwingen war mit nichts zu vergleichen. Seine festen und doch biegsamen, geschmeidigen Schuppen fühlten sich warm an und schillerten im Sonnenlicht. Sein Atem klang wie etwas, das der Mitte der Welt entsprang, wie der Puls des ersten Lebens. Viel zu schnell erreichten wir die Spitze des Tempels. Ich dankte ihm mit einer Verbeugung, ehe ich mich umsah und feststellte, daß die Wachen wie auch schon zu Ende meines letzten Besuchs aus der Ferne patrouillierten. Auch der Drache, der mich hergeflogen hatte, verschwand wieder in der Tiefe. Wir waren allein.

„Königin…“ Ich verneigte mich vor ihr. Sie musterte mich eine Weile schweigend, bevor sie die Stimme erhob: „Wie ich hörte, habt Ihr Euch seit unserem letzten Gespräch hierzulande verdient gemacht. Dafür danke ich Euch. Doch sorge ich mich um Euer persönliches Weiterkommen – habt Ihr neben all den Aufgaben, die Ihr hier bewältigt habt, überhaupt Zeit finden können, um nach Mulgore zu reisen?“

Wie es schien, war ich wieder einmal mit falschen Erwartungen hergekommen. „Dazu sah ich keine Veranlassung. In Mulgore erwarten mich keine dringenden Angelegenheiten.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Mir scheint, ich habe Euch nicht ausreichend darauf hingewiesen, wie wichtig diese Reise für Euch und Eure Zukunft ist.“

„In der Tat, Ihr habt Euch sehr bedeckt gehalten mit allem, was meine Zukunft betrifft.“ Keine von uns war bereit den Blick zuerst abzuwenden. Wir taxierten einander und fragten uns, wer von uns als erste eine deutliche Anklage aussprechen würde. Ich trotzte ihrem Versuch, mich mit ihren Blicken in die Knie zu zwingen. Obwohl ihre starke Präsenz auch in mir den Impuls weckte mich zu unterwerfen, hielt ich stand. Schließlich seufzte sie.

„Itarildë, ich bin nicht Euer Feind. Vielleicht werdet Ihr eines Tages erkennen, daß ich auf Eurer Seite bin und tagtäglich über Euch wache. Zu dieser Einsicht kann und will ich Euch nicht zwingen. Doch ich werde nicht zulassen, daß Ihr Euch weiterhin in die Verbitterung und Resignation flüchtet. Bis Ihr Eure Ziehmutter aufgesucht habt, will ich Euch nicht mehr in der Drachenöde sehen.“

„Ihr verbannt mich?“

„Ich verbanne Euch, bis Ihr erledigt habt, worum ich Euch bat. Und ich verspreche Euch, daß ich Euch mit Freuden wieder empfangen werde, wenn Ihr diese Hürde genommen habt. Ihr seid entlassen. Nun geht Eurer Wege.“ Auf ihren Wink hin erschien ein Drache, um mich nach unten zu bringen. Ohne mich noch einmal umzudrehen, machte ich mein Zhevra bereit und ritt davon.

Verbannung… Ich versuchte es auf die leichte Schulter zu nehmen, doch es gelang mir nicht. In die Grizzlyhügel zu fliehen wagte ich einfach noch nicht. Es war schon ein Wunder gewesen, daß Roo und ich dort unbeschadet unseren Weg hatten machen können. Sich mit den dort ansässigen Kreaturen zu messen hieße jetzt noch, sein Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Die Tundra dagegen bot keine Herausforderungen mehr, an denen ich hätte wachsen können. Missmutig schlug ich den Weg nach Dalaran ein, wo ich stundenlang im Brunnen nach Münzen fischte, um etwas zu tun zu haben. Gerade als ich Thralls Goldmünze aus dem Wasser angelte, bemerkte ich, wie der Sprachstein in meiner Tasche aufglühte. Gorrtak sendete seine Grüße, begleitet von eindeutigen Kampfgeräuschen. Das sah dem Krieger doch wieder ähnlich. Wahrscheinlich war er direkt von seinem Lager auf das nächste Schlachtfeld gefallen, schlaftrunken und kampflustig zugleich.

Ich verspürte Bedauern, als ich den Stein wieder einsteckte, nachdem ich seinen Gruß nur kurz erwidert hatte. Gerne hätte ich… Was? Ihm meine Sorgen anvertraut? Ihn um Rat gebeten? Verdammter Orc. Als ob nicht schon mehr als genug widersprüchliche Gefühle in mir beruhigt werden wollten… Ich achtete und schätzte ihn. Mein Groll gegen die Orcs hatte sich so weit gelegt, daß einer Freundschaft nichts im Wege gestanden hätte – wäre mein Stolz nicht gewesen. Wenn Ael oder Grímur die Aufgaben der „Großen“ angingen – am besten noch gemeinsam – war ich frustriert und übler Laune. Wenn sich in Wargroks Beisein meine Unterlegenheit zeigte, war ich von mir selbst enttäuscht. Bei Graodan kümmerte es mich nicht, es erschien mir wie ein Naturgesetz, daß sein Erfahrungsschatz nicht zu übertreffen war. Aber vor Gorrtak eine Schwäche zugeben zu müssen – das wäre an meine Ehre gegangen. Ich wollte ihm ebenbürtig sein. Ich wollte von ihm ernst genommen werden und wartete förmlich auf ein Anzeichen dafür, daß er es nicht tat. Vielleicht war es genau das. Der Krieger hatte mich noch nie von oben herab behandelt oder mir auf irgendeine andere Art gezeigt, daß ich ihm nicht gewachsen war. Selbst wenn er mir bei Aufgaben zu Hilfe kam, die ich allein nicht bewerkstelligen konnte, vermittelte er mir den Eindruck, daß ich einen großen Teil dazu beitrug, die Gegner außer Gefecht zu setzen. Er pflügte sie nicht einfach weg, wie die anderen „Großen“ es mitunter taten – eine Methode, die rasch zum Ziel führte und mich schnell vorwärtsbrachte, aber doch auch immer ein wenig an meinem Selbstwertgefühl kratzte.

Ich traute dem Frieden nicht. Ich wollte es gern, doch ich wartete darauf, daß er mich in meinem Stolz verletzte. Als der Sprachstein erneut aufglühte, war ich entschlossen, ihm meine persönlichen Sorgen nicht zu offenbaren. Doch es war der junge Priester, der ein fröhliches Hallo durch den Nether schickte. Gorrtak war fort. In meine Freude über Nurms Auftauchen mischte sich Bedauern darüber, so wenig Worte mit dem Krieger hatte wechseln zu können.

Nurms Anwesenheit riss mich aus meiner düsteren Stimmung. Er hatte es sicher nicht leicht gehabt in seinem jungen Leben als Untoter, doch hatte er sich so viel Freundlichkeit und Fröhlichkeit bewahrt, daß ich jedes Mal das Gefühl hatte, als treibe ein frischer Wind meine Sorgen fort. Freudig stimmte ich zu, als er einen Ausflug ins Scharlachrote Kloster vorschlug. Das Herz wurde mir leicht. Ich hatte eine Aufgabe fern der Drachenöde, und ich würde die Gesellschaft des Priesters genießen können.

Auch Ael erwachte aus ihrem Schönheitsschlaf, und in meinem Überschwang begrüßte ich sie etwas zu enthusiastisch. Dankbar erinnerte ich mich daran, daß der Sprachstein nur meine Worte, nicht meine Gesichtsfärbung übertrug. Ich riss mich zusammen und bemühte mich, mich nicht zu sehr von Nurms unbekümmerten Art anstecken zu lassen. Die Hexenmeisterin verkündete etwas unartikuliert, daß sie sich nicht anschließen würde. Ich meinte ihre Bierfahne bis in die Östlichen Königreiche hin riechen zu können. Dann war es auch besser so… Ich hasste es, wenn sie trunken in den Kampf zog. Ganz gleich, wie schwach die Gegner auch sein mochten – sie ließ sich benebelten Geistes auf die Mächte des Nethers ein.

Der Ausflug mit Nurm begann zufriedenstellend. Wo mein Ungeschick einem weniger wachen und aufmerksamen Gefährten vielleicht bedrohlich geworden wäre, reagierte der junge Priester schnell und überlegt, heilte sich, brachte sich in Deckung und griff im richtigen Moment zur Waffe, bis ich ihm Beistand leisten konnte. Obwohl er gerade erst seine dreißig Zirkel vollendet hatte, war er schon ein Begleiter, der mich stärkte und mir Sicherheit gab. Ich genoss den Kampf an seiner Seite und war mir sicher, daß ich eines Tages mit großem Stolz auf die Zeit zurückblicken würde, in der ich gemeinsam mit ihm dem Feind getrotzt hatte. Dann stieß Aeluinya doch noch zu uns. Nun kamen wir schneller voran. Wie immer kämpfte sie wie eine Göttin, ließ die Reihen der Gegner fallen, bevor diese ihren nahenden Tod überhaupt zur Kenntnis nehmen konnten, doch ich betrachtete sie mit Sorge und konzentrierte mich nun mehr auf sie statt auf die Feinde, um zu erkennen, ob die Dämonen des Nethers sie zu überwältigen drohten, während sie sich ihrer Kräfte bediente – wohl wissend, daß ich in diesem Fall rein gar nichts für sie hätte tun können.

Mein Unbehagen fiel erst von mir ab, als wir auf der Rasenfläche vor der Kathedrale standen, frei von Bedrohung. Nurm nutzte seinen Ruhestein, um den ungastlichen Ort zu verlassen, während Ael und ich noch kurz verweilten. Wir stellten einander unsere neuen Haustiere vor. Ich spürte, wie sich das Bild immer wieder verschob. In einem Moment waren wir Erwachsene, die mit Wohlwollen die neuesten Errungenschaften der anderen begutachteten und voller Stolz die eigenen präsentierten, im nächsten waren wir Kinder, ins gemeinsame Spiel vertieft.

Meine spontane Freude über ihr Auftauchen hatte sie geflissentlich übersehen, war kühl und reserviert geblieben. Nun erstrahlte sie wieder in ihrer Freundlichkeit, die direkt aus dem Herzen zu kommen schien. Sie bot mir an mich bei Gelegenheit in die Schwarzfelsspitze zu führen, damit auch ich einen kleinen Worgwelpen mein Eigen nennen durfte. Ihr Blick war klar. Das Adrenalin schien den Alkohol neutralisiert zu haben. Ihre Stimme klang warm und voll, und es lag eine Zärtlichkeit in ihrem Blick, die mich bis ins Mark berührte. Als wir uns schließlich verabschiedeten, sah ich ihr lange nach.

Konnte sie mir wirklich so zürnen, wie ich geglaubt hatte und wie es ihr auch zustand? Wie konnte es dann sein, daß es neben der angebrachten Kälte und Distanziertheit auch immer wieder diese Momente unwiderruflicher Nähe, diese Augenblicke unantastbaren Glücks gab? Ich begann mich zu fragen, wieviel Unfrieden ich mir selber schuf. Wenn ich alle Erwartungen, alle Hoffnungen und Ängste beiseite schob, blieb nur dies: eine Liebe, die älter war als die Sterne und zugleich jünger als der Frühlingsmorgen, und es lag ein Frieden darin, der mir Heimat sein wollte.

Der Schlaf wollte nicht kommen in dieser Nacht. Es zog mich zum Verdantis. Die Angel holte ich nicht hervor, ich saß einfach nur da, an seinen Ufern, und lauschte der lebendigen Stille. Feiner Regen fiel, benetzte wie ein Streicheln Arme und Gesicht und ließ den Wald tausendundeine Sprache sprechen. In manchen Bäumen klang er wie ein geheimnisvolles Wispern, andere sammelten ihn, bis er schwer auf den Blättern wog und in dicken Tropfen gewichtig zur Erde fiel, jeder Aufprall der Herzschlag eines unvorstellbaren Geschöpfes, jeder Fall ein mächtiger Atemzug. In manchen Büschen war er ein aufgeregtes Rascheln, in anderen wieder ein Knistern und Knacken, wo er an dürren Zweigen wippte und zerrte. Auf dem bemoosten Boden ein leises Gedicht, auf den glänzenden Felsen ein leichter Tanz. Der Wald selbst atmete wie ein einziges Wesen. Erde und Wasser, Blätter und Rinde, Moos und Kräuter, selbst die Steine verströmten ihren eigenen, urtümlichen Geruch. Die Augen sahen ganz anders als am Tage. Schatten formten sich zu Halbwesen von Gegenständlichem und Traum, die Augen der Wildtiere strahlten ein Wissen vom Diesseits und der Geisterwelt aus, wenn sie das Licht des Mondes einfingen, und über allem thronte die Zeit wie ein Titan, der sich selbst erst erschuf.

„Ich danke Euch, Kintan“, sprach ich ruhig, als die Nacht einen neuen Morgen gebar. Er hatte mich gelehrt der Natur zu lauschen, wenn meine Gedanken nur noch in die Irre liefen. Erhobenen Hauptes und stillen Herzens machte ich mich auf um Paukaja zu treffen.

Eine Antwort auf „Verbannung“

Bin glatt in Versuchung, mal den ungehobelten Orc zu mimen; mal schauen, wie es dann beschrieben wird.

Weiter so, ich will mehr ! 😉

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