Die Sonne blendete meine Augen als ich aufwachte. Ich gähnte und schaute durch das kleine Holzfenster neben mir nach draußen. Dichte Bäume standen dort und ließen nur vereinzelt Strahlen durch ihre saftigen Blätterkronen. Einer davon traf direkt in mein Gesicht. Ich blinzelte und zog die warme, weiche Decke über meinen Kopf. „Verzeiht, Meisterin, ich werde die Stoffe vor die Fenster ziehen.“, hörte ich eine Stimme im Raum. Ich runzelte die Stirn. Vorsichtig schob ich die Decke bis kurz unter meine Augen und sah einen Jüngling, der gerade dabei war, die leichten Vorhänge vor das Fenster zu ziehen. Ich schaute ihn mit großen Augen an als er sich mit einem Lächeln umdrehte und seinen Kopf senkte. „Ich habe warme Milch für Euch und süßen Nektar. Das wird Euch gut tun.“ – „Äh … danke.“, erwiderte ich und zog die Decke wieder langsam über meinen Kopf in der Hoffnung, gleich aus diesem Traum zu erwachen.
Vollständig von der Decke bedeckt wartete ich darauf, dass irgendetwas passierte. Ich hörte die Tiere vor dem Fenster durch das Gebüsch streifen und den Wind, der die Bäume zu einem leichten Tanz anregte. Nach einigen Minuten zog ich die Decke wieder von meinem Gesicht und schaute mich vorsichtig um. Der Jüngling stand nun an der Tür, die Hände vor seinem Körper gefaltet und schaute mich lächelnd an. „Ja, also … und Ihr seid …?“, fragte ich ihn. Er senkte den Kopf. „Ich bin Miro, Euer Diener.“ Mehr als ein „Aha“ brachte ich nach diesen Worten erst mal nicht zustande. Der junge Blutelf bemerkte meine Verwunderung und fügte hinzu: „Ich bin Diener des Hauses Schattenklang und somit diene ich auch Euch, Meisterin.“ Ich zog die Decke wieder über meinen Kopf.
„Ah, sie ist wach. Zwei Tage und zwei Nächte Schlaf sind ja wohl auch genug.“, hörte ich eine vertraute Stimme sagen. Ich schaute aus meiner Deckung aus Federn und Stoff hervor und sah Alamma den Raum betreten. Sein Bein war verbunden, der Arm in einer Schiene gelagert. An seinem Stab stützend humpelte er auf mich zu. Ich sprang auf und rückte ihm einen Stuhl ans Bett. Dann setzte ich mich mit überkreuzten Beinen auf die Matratze und wartete bis Alamma saß. Er schaute mich mit einem Blick an, den ich bei ihm noch nie gesehen hatte. Er lächelte mit einer solchen Kraft, dass mir warm ums Herz wurde. Seine feuchten Augen funkelten im Licht der Sonnenstrahlen, die es trotz Vorhang in den Raum schafften. „Alamma …“, begann ich, doch mein alter Meister unterbrach mich sofort. „Nein, Ael, nein. Bitte. Vergessen wir die Vergangenheit. Vergiss meine Worte, vergiss am besten alles. Was geschehen ist, ist geschehen und dafür habe ich Schlimmeres verdient als diese Verletzungen. Schau nicht zurück, Ael, schau nicht zurück …“
Schau nicht zurück? Wie ein Lichtblitz schossen die Bilder wieder in meinen Kopf, die mir in der Mördergasse kurz vor Beginn meiner Ausbildungzeit zum ersten Mal erschienen sind. „Das Feuer. Der Kampf.“, murmelte ich. Dann schaute ich Alamma mit großen Augen an. „Schau nicht zurück. Das wahren Eure Worte. Ihr habt sie mir damals zugerufen.“ Alamma seufzte. Ich blickte ihn flehend an. „Ich muss wissen … Alamma … bitte.“
Er stand auf und nickte dem Diener zu, der daraufhin den Raum verließ. Sich an seinem Stab festhaltend humpelte er im Raum umher. Dann blieb er stehen, schaute durch einen Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen und begann zu reden.
„Vor langer Zeit kam dein Vater zu mir und bat mich um Hilfe. Ich schätzte ihn nicht, nein, ich verabscheute ihn sogar. Wir waren Freunde, doch das Band zerbrach als er sich von der Magie losriss.“ Alamma atmete tief durch.
„Mein Vater? Wer ist er?“
„Thelis Schattenklang. Ein Hexenmeister, der seiner Bestimmung aus dem Weg ging. Was hätten andere Nethermagier für sein Talent geben, aber er hat es einfach weggeworfen wie stinkenden Fisch aus Beutebucht.“ Ich hörte Zorn in Alammas Stimme. „Nun, er hat dafür bezahlt.“
„Ihr meint …?“
„Er hat sein Leben vor vielen Jahren gelassen.“ Alamma schaute zu Boden.
„Wie?“, fragte ich.
„Das ist nicht genau klar. Vielleicht waren es Orcs, vielleicht nur Diebe. Aber hätte er seine Talente weiter ausgebildet, wäre es mit Sicherheit nicht passiert.“ Mein alter Meister schnaubte, humpelte eine Runde im Zimmer umher und schaute dann wieder durch den Spalt der Vorhänge in die Ferne.
„Und meine Mutter?“
„Über deine Mutter weiß ich nicht viel. Es war nur eine kurze Liebe als er noch die Akademie mit mir besuchte. Sie lehrte dort, wurde aber kurz nach deiner Geburt abberufen. Ich habe nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört und Thelis sprach nie über sie. Kurz darauf traf er Kylene, die dich wie ihre eigene Tochter aufnahm. Ein paar Jahre später, Thelis hatte seine Ausbildung schon längst aufgegeben, muss dann Itarildë zur Welt gekommen sein. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt längst keinen Kontakt mehr zu ihm, doch irgendwas muss von unserer Freundschaft noch geblieben sein als er mit seiner Bitte zu mir kam.“
Ich nahm einen großen Schluck aus dem Krug mit der warmen Milch, der auf dem Tisch neben dem Bett stand und schaute gespannt zu Alamma.
„Ich sollte dich fortschaffen, zu einer neuen Familie, zu neuen Eltern und neuen Geschwistern. Thelis wollte Itarildë und dich trennen. Doch als er mit dir bei mir war, konnte er nicht loslassen. Und so nahm ich dich auf, damit er dich auch weiterhin bei jedem Besuch in Silbermond sehen konnte.“
„Aber … ich war doch bei Isa und Juuly? Das ist doch kein Traum gewesen?“
Alamma nickte und atmete tief durch.
„Wir waren während einer Reise gerade in einem Gasthaus eines kleinen Ortes als die Orcs kamen. Sie fielen über alles und jeden her. Die Dorfbewohner wehrten sich tapfer, doch mir war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis alles brannte.“ Er schluckte. „Als sie die Verteidigungslinien durchbrachen, wusste ich keinen Ausweg mehr und so schickte ich dich fort, schrie dir hinterher, dass du laufen sollst … dass du nicht zurückblicken sollst.“ Allamma ging langsam zum Stuhl und setzte sich.
„Was war mit Euch?“
„Ich konnte mich schwer verletzt nach Silbermond retten.“ Er schaute mich traurig an und sprach mit leiser Stimme weiter. „Ich suchte nach dir. Tag und Nacht verbrachte ich in den Wäldern und schrie unentwegt deinen Namen. Doch ich fand dich nicht.“
Eine Träne kullerte über meine Wangen und schlug unbemerkt auf dem Laken des Bettes auf.
„Ich war schwach geworden, mein Herz wurde durch dich mächtiger als mein Verstand. Diese Qual wollte ich nicht mehr ertragen und braute mir selbst einen Trank des Vergessens.“
„Deshalb habt Ihr mich später nicht mehr erkannt?“, fragte ich mit zitternder Stimme.
Alamma nickte. „Ja, aber wie du selbst erfahren hast, hilft der Trank nur eine bestimmte Zeit. Sobald man mit der Vergangenheit konfrontiert wird, verliert er an Wirkung. Itarildë hat den Trank kurz nach eurer Trennung bekommen. Sie war jung und alles war perfekt abgemischt. Hätte sie dich nicht getroffen, hätte er seine Wirkung wohl für immer gehabt. Du wirktest bei der Trennung jedoch so stark, dass wir es nicht für notwendig hielten, dich vergessen zu lassen. Kurz vor unserer Reise, die uns dann trennte, begannen wir bei dir erst mit der Therapie. Wir wollten vorsichtig sein und nur die entscheidenden Passagen aus deinem Gedächtnis streichen, deshalb gingen wir sehr bedacht vor. Als die Orcs dann kamen, wollte ich die Behandlung unbedingt abgeschlossen wissen. In dem Gasthaus habe ich deshalb so gut es mir möglich war den letzten Trank gebraut.“ Er schaute zum Fenster.
„Aber Isa, Juuly …?“
„Ich habe mich selbst vergessen lassen, um mich wieder auf meine Akademie zu konzentrieren. Aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingeredet. Als Itarildë mich aufsuchte, war mir plötzlich wieder alles klar vor Augen.“ Er schaute mich an. „Du bist die kleine Ael von damals.“
Ich musste lächeln.
„Während du dich hier ausgeruht hast, habe ich Nachforschungen angestellt. Nach dem Angriff der Orcs wurdest du im Wald gefunden und nach Silbermond gebracht. Dein Großvater hat dich aufgegriffen und dorthin gebracht, wo du ursprünglich hin solltest. Zu deiner neuen Familie, zu deinen neuen Geschwistern. Dort hat er dich beobachten lassen und als er es für richtig hielt, zurück nach Silbermond gelockt – zurück zu mir.“ Alamma schüttelte den Kopf. „Ich hätte dich erkennen müssen, ich hätte es müssen …“
„Aber, warum? Warum das alles?“, fragte ich mit trauriger Stimme.
Mein alter Meister stand auf und ging in die Mitte des Raumes. Dann drehte er sich um und schaute mir tief in die Augen. „Ael, was weißt du über Nozdormus Prophezeiung?“
2 Antworten auf „Der Kreis schließt sich“
Möglicherweise fange ich doch noch an, Alamma irgendwie zu mögen. Zumindest schätze ich seine Zuneigung zu Ael. Vielleicht verrät er ihr ja auch ein wenig mehr über die Prophezeiung als mir… Ich kann ja nicht unbedingt behaupten, sein Vertrauen gewonnen zu haben.
((Sehr schön erzählt. Nun ist es rund. 🙂 ))
So ganz rund ist es nicht, aber wollen wir mal nicht zu kleinlich sein. 😉
Zumindest ist die alte Lagerfeuergeschichte irgendwie integriert, mit der ich mir ja selbst einige Steine in den Weg gelegt habe.