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Itarildë

Flüsternde Visionen

Kein einziger Stern erhellte die Dunkelheit. Unter meinen Füßen spürte ich Eis. Ein wütender, beißender Wind zerrte an mir. Das Schwarz um mich herum schien bodenlos zu sein. Ich wagte mich in meiner Blindheit nicht zu bewegen. Mein Umhang schlug mir hart ins Gesicht, riss mich kurz darauf nach hinten. Die unberechenbaren Böen ließen mich taumeln.

Eiseskälte.

Sie zerschnitt mir die Haut. Zerriss meine Muskeln. Solche Schmerzen… Ich schrie, solange ich konnte, bis das Eis mir auch in die Lungen drang und sie lähmte. Die nächste Böe riss mich von den Füßen. Ich erwartete hart auf den Boden aufzuschlagen, doch ich fiel nur. Immer tiefer. Unmöglich zu überleben. Es war vorbei. Nein, war es nicht. Etwas fing mich auf. Hielt mich fest umfasst. Nun war das Fallen ein Fliegen. Die Kälte quälte mich noch immer, doch dem Tod war ich entronnen. Wie?

„JÄGERIN…“

Leise und doch allgegenwärtig meldete sich eine tiefe, fast schnurrende Stimme zu Wort. ((ooc: Der kooperative Leser stelle sich bitte Ben Becker zwei Oktaven tiefer vor. Danke.)) Sie war überall um mich herum. Unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung sie kam.

„JÄGERIN, IHR SEID GERETTET. ZUMINDEST FÜR DEN AUGENBLICK. HÖRT IHR MICH?“

Ich war benebelt. Die Stimme machte mich schwach. Ich wollte darin versinken wie in einen Traum.

„SPÜRT IHR DIE KÄLTE?“

Die Stimme legte sich drängend um mich. Sie war sanft, doch auch fordernd. Ich musste antworten, ihr gehorchen. „Ja…“, hauchte ich, „ich… ich fühle…“

„DAS IST DIE KÄLTE, DIE IN ALEXSTRASZAS HERZEN WOHNT. HABT IHR DAS VERSTANDEN?“

„Ja“, mühte ich mich ab, „sie ist kalt. Eis. Sie ist Eis.“

„GUT. IHR HABT DIE WAHRHEIT ERKANNT. MERKT ES EUCH GUT. BEWAHRT DIESE WISSEN IN EURER SEELE. ICH WERDE EUCH RETTEN. DOCH ALEXSTRASZA HAT IHRE FLAMMEN UM UNS GELEGT. ICH MUSS EUCH DURCH DIE FLAMMEN TRAGEN, HÖRT IHR?“

„Heiß! Es brennt! Nein!“

Flammen umfingen mich. Fraßen an mir. Brachten mein Blut zum Kochen. Überall Schmerz. So viel Schmerz. Diese Flammen…

„ES SIND ALEXSTRASZAS FLAMMEN, DIE EUCH VERSCHLINGEN WOLLEN. ICH SCHÜTZE EUCH. ICH RETTE EUCH. VERSTEHT IHR MICH?“

„Ja!“ Meine Antwort ging in einen langen Schmerzensschrei über. Dann ließ die Hitze nach. Die Flammen wurden kleiner. Wir waren entkommen. Meine Augen brannten noch immer. Tränen verwehrten mir die Sicht. Als ich sie fortwischte, sah ich grünes Land unter mir. Da liefen zwei kleine Elfenmädchen über saftige Wiesen. Ihr Lachen klang mir noch lange nach. Dort ein Wald. Zwei Jagende, die sich gemeinsam an eine Donnerechse heranpirschten. Ihr Kampf wie ein Tanz, so sehr harmonierten sie miteinander. Einer von ihnen war mir wohl vertraut. Ich lächelte. Ein kleines Dorf. Man feierte. Trommeln erklangen zum Fest, nicht zum Krieg. Rüstungen verstaubten.

„SEHT ES EUCH AN. DER KRIEG MUSS EIN ENDE HABEN. MEINT IHR NICHT AUCH?“

„Ja“, hauchte ich verträumt. Wir flogen tiefer.

„SEHT ES EUCH AN. BEWAHRT ES IN EURER SEELE. EUER KOPF SOLL VERGESSEN, EUER HERZ ABER NICHT“, schnurrte mein weiser Führer. Er setzte mich ab mitten in diesem grünen, friedlichen Land. Ein schwarzer, freundlicher Schatten, der der blutroten Abendsonne entgegenflog. Ich schritt glücklich über die Wiesen. Der Wald zog mich an. Überall wollte ich sein. So wohl war mir hier…

Ich blinzelte. Noch immer ein wenig schläfrig, brachte ich ein Lächeln über die wohlige Wärme zustande, die mich liebevoll umfing. Jemand hielt warm meine Hände umfasst, und auch das war schön. Alles war schön. Auch die Stimme, wenngleich sie nicht ganz so war wie die.. wie eine, die ich wohl irgendwann einmal gehört hatte. Ich fing an ihr lauschen zu wollen und wehrte mich ein kleines bißchen dagegen, wieder in der träumerischen Schwere zu versinken.

„Jägerin…“

„Ich höre, Meister…“ murmelte ich und driftete kurz wieder weg.

„Itarildë. Ihr müsst jetzt aufwachen, ich bitte Euch.“

Es kostete mich alle Mühe die Augen zu öffnen, doch die Anstrengung wurde belohnt. Ich sah in ein Gesicht, das mich glücklich machte. Der Blick in diese roten Augen ließ mich strahlen. „Gorrtak…“ flüsterte ich zufrieden. Dann erst bemerkte ich die blutigen Striemen auf seinen Wangen. „Du bist verletzt“, murmelte ich bekümmert. „Wer hat dir das angetan?“

Er zeigte ein grimmiges Lächeln. „Eine Wildkatze hat mich überrascht. Hört mir bitte zu. Ich möchte, daß Ihr richtig wach werdet und mit mir redet. Vor allem möchte ich, daß Ihr ruhig bleibt, damit wir ein paar Dinge klären kö – “

Ein Schatten hatte sich hinter ihm bewegt und meine Aufmerksamkeit erregt. Mein Gehirn befreite sich von dem Wattegefühl. Ich begann zu denken und mich zu erinnern. Alamma. Blut im Hexenkeller. Ael. Verschwunden. Verletzt… Gorrtak, der den Mann beherbergte, der Ael verwundet, vielleicht sogar – nein. Nein! Ich wollte aufspringen, wollte ihn wegstoßen, ihm das Gesicht zerkratzen, doch seine widerlichen grünen Pranken hielten immer noch meine Hände umfasst, die sich jetzt zu Fäusten ballten. Mein Knie trag seinen Ellenbogen. Meine Zähne bohrten sich in seinen Unterarm. Er ließ los. Meine Faust traf sein Auge. Ich war frei. Sprang auf die Füße. Machte drei Schritte in Richtung Tür – und erstarrte. Meine Beine knickten ein. Schläfrigkeit überkam mich. Der Hexenmeister…

Starke Arme hoben mich auf. Selbst in diesem Zustand des Wegdämmerns schüttelte mich noch der Ekel vor der Berührung des Verräters, den ich so glühend hasste, als hätte er selbst Ael ein Leid getan. Seufzend trug er mich zum Lager, während er zum Hexenmeister sprach: „Alamma, verzeiht mir, aber ich denke, Ihr solltet jetzt gehen. Eure Zauber besänftigen sie nicht lange genug, und Euer Anblick bringt sie in Rage. Kümmert Euch um Aeluinya. Wir treffen uns im Wyrmruhtempel, sobald beide stark genug für die Reise sind.“

Ael… Ael auf grünen Wiesen, als kleines Mädchen mit einem Lachen in der Kehle. Es ging ihr gut. Sehr gut… Zufrieden schlief ich ein.

„Ita…“

Ich schnurrte zufrieden und schmiegte mich wohlig in die Umarmung, die mich umfing. Sein kräftiger, warmer Herzschlag in meinem Rücken war wie eine Verheißung, daß nie wieder etwas im Argen liegen würde.

„Ita, Ihr seid in Sicherheit. Euch wird nichts geschehen.“

„Ich weiß…“ murmelte ich lächelnd. Dummer Orc… Natürlich war ich in Sicherheit. Wo sonst, wenn nicht in seiner Umarmung?

„Ich halte Euch fest, damit Ihr Euch selbst und mich nicht verletzt. Ich werde Euch loslassen, sobald Ihr Euch unter Kontrolle habt. Versteht Ihr das?“

„Nicht loslassen…“ brachte ich traurig hervor.

„Vorerst ganz sicher nicht“, grunzte er mit einer guten Spur Sarkasmus in der Stimme, die völlig an mir vorbeiging. Mein Blick fiel auf seine Arme, die die meinen fest umschlossen. Ich erschrak.

„Du bist verletzt…“

Er seufzte. „Ita, ich schätze Euch sehr, doch wenn Ihr mich heute noch ein einziges Mal fragt, wer mir diese Wunden zugefügt hat, nur um mir hinterher eine reinzuhauen, dann drehe ich Euch den Hals um, das schwöre ich.“

Ich brauchte eine Weile, um den bizarren Sinn dieser Worte zu begreifen. „Gorrtak, warum sollte ich dir etwas antun?“

„Eine gute Frage. Beantwortet sie mir, wenn Ihr könnt.“

Verwirrt schwieg ich. Das Wohlbehagen ließ nach. Ein Gefühl der Unruhe überkam mich. Seine Arme umfassten mich etwas fester, als er zum Reden ansetzte: „Gestern in den frühen Morgenstunden habt Ihr an meine Tür geklopft. Es ging Euch offensichtlich schlecht. Ihr wolltet mich um Hilfe bitten, erinnert Ihr Euch? Es hatte mit Aeluinya zu tun.“

Wie einzelne Tropfen sickerte die Erinnerung in meinen Kopf zurück. Ich wurde wacher.

„Dann erkanntet Ihr meinen Gast, was Euch erheblich in Aufruhr versetzte.“

Alamma… Der Mann, an dessen Händen Aels Blut klebte, war hier gewesen.

„Verräter!“ zischte ich. Mit einem Schlag wich jede Friedfertigkeit von mir. Mein Blut schrie Kampf. Es pulsierte in meinen Adern. Meine Muskeln spannten sich an, ich wollte mich von ihm befreien, ihm Schmerzen zufügen, sein Blut fließen lassen, doch ich trat nur einen Krug Wasser um. Sein Griff war zu fest, seine Position zu überlegen.

„Was habt Ihr mit Ihr gemacht?“ schrie ich ihn an, während meine Finger und Zähne noch immer nach etwas suchten, das sie verletzen konnten.

„Ael geht es gut. Sie war lange ohnmächtig, doch sie hat sich inzwischen erholt.“

„Lügner! All das Blut in der Akademie…“

Er stöhnte auf. „Ihr ward in der Mördergasse? Das erklärt natürlich einiges. Alamma wurde in der Akademie angegriffen, bevor er Ael in SIcherheit brachte. Es war sein Blut, das Euch schreckte. Habt Ihr seine Verbände nicht gesehen?“

Ich gab den Kampf auf und sackte zusammen.

„Wo ist sie?“

„Auf dem Landsitz der Schattenklangs. Falls sie nicht schon mit Alamma auf dem Weg in die Drachenöde ist. Alexstrasza wünscht Euch zu sehen.

Alexstrasza. Eis… Plötzlich fröstelte ich. Mir wurde schwindelig. Die Temperatur schien weit unter den Gefrierpunkt zu fallen, obwohl das Feuer im Kamin weiterhin fleißig brannte.

„Verdammt, nicht schon wieder“, fluchte der Krieger und griff nach einem Fläschchen. „Trinkt das. Nur ein paar Tropfen. So ist gut.“

„Sie ist kalt“, flüsterte ich gequält.

„Euch wird gleich wieder warm“, beruhigte er mich. Behutsam stützte er meinen Rücken, während er sich erhob. Dann schob er mir ein Kissen unter den Kopf und überließ mich meinen Fieberträumen von Feuer und Eis.

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