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Aanug

Orgrimmar

Bereits einige Meilen bevor die Umrisse der riesigen Stadt sich vor dem Horizont abzeichneten, wurde die kleine Karawane regelmäßig von gehetzten Reitwölfen und rennenden Kodos überholt. Auch andere, ganz fremdartige Reittiere kreuzten ihren Weg, doch zu bald schob sich eine Staubwolke zwischen sie, als daß Aanug sie näher hätte betrachten können. Jeder schien es eilig zu haben die Stadttore zu erreichen. Die Schamanin wurde unruhig.

„Wird die Stadt bedroht? Sollten auch wir uns vielleicht beeilen, um schnell in den Schutz der Mauern zu gelangen?“

Drek’Thar schüttelte müde den Kopf.

„Kein Grund zur Sorge. So geht es hier immer zu. Die Stadt ist eine hektische Angelegenheit. Wer es hier nicht eilig hat, der kommt sich nicht wichtig genug vor. Bleib dicht bei uns, sobald wir dort sind. Es ist leicht sich in dem Gewühl aus den Augen zu verlieren.“

Ein Wunder, daß sie es nicht taten… Die Stadt war gigantisch. Überall botenHändler ihre Waren feil. Handwerker unterrichteten ihre Schüler mitten auf der Straße. Von irgendwoher klang das Schlagen eines Schmiedehammers. Eine Katze versuchte sich beim Fischhändler selbst zu bedienen, erntete dafür einen Tritt und riss bei ihrer Flucht unter wütendem Fauchen drei Tonkrüge um. Das Geräusch der zerberstenden Gefäße mischte sich mit den Flüchen des Krughändlers. Aus dem Gasthaus drangen die Gerüche von frisch Gebratenem und schalem Bier. Irgendwo weinte ein Kind.

Auf den Kodos war es noch leicht zusammenzubleiben, doch als sie die Tiere im Stall abgegeben hatten und sich zu Fuß den Weg durch die Menge bahnen mussten, wurde es eine echte Herausforderung sich nicht zu verlieren, zumal es so unglaublich viel zu sehen gab. Mehr als einmal musste Aanug aus dem Weg springen, weil eilende Reiter rücksichtslos durch die teils sehr engen Straßen galoppierten. Aanug war heilfroh, als sie endlich ihr Gasthaus erreichten und sie einen Moment lang ausruhen konnte. Doch schon nach ein paar Schluck aus dem Wasserschlauch kehrte die Unruhe wieder. Es gab etwas, das sie hier tun wollte. Kurz entschlossen stand sie auf und machte sich auf die Suche nach ihrem Lehrer. Im Schankraum des Gasthauses traf sie auf einige Männer aus ihrer Reisegesellschaft. Der Schamane war nicht unter ihnen.

„Drek’Thar? Der ist schon auf dem Weg zur Feste Grommash.“

Aanug dankte und lief zur Tür hinaus. Ein kleiner Junge rannte fast in sie hinein. Sie griff in die Tasche und zog ein paar Kupferstücke heraus.

„Die sind für dich, wenn du mir den Weg zur Feste zeigst.“

Er wollte danach greifen, doch sie schloss die Hand zur Faust.

„Du bekommst deinen Lohn wenn wir dort sind.“

Der Junge lief voraus, und Aanug folgte ihm, ängstlich darauf bedacht, den Kleinen in dem Gewühl nicht aus den Augen zu verlieren. Sie gelangten in einen weniger belebten Teil der Stadt. Hier waren weniger Händler, dafür umso mehr Wachen, doch alles in allem war es merklich ruhiger als in dem Bereich, in dem der große Markt angesiedelt war. Die Feste erhob sich vor ihr wie ein drohendes Ungetüm. Es mangelte ihr nicht an Schönheit und Stolz, doch die Zacken der schweren Fallgitter am Eingang sahen aus wie die gefährlichen, spitzen Zahnreihen eines WIldtiers, und die dicken Mauern zeigten deutlich, daß niemand ohne Einverständnis ins Innere gelangen konnte. Aanug bezahlte den Jungen und dankte ihm. Dann holte sie einmal tief Luft und schritt erhobenen Hauptes auf den Eingang zu.

„Halt!!“

Die Wachen zu beiden Seiten kreuzten ihre Waffen.

„Dabu“, beeilte sie sich zu entgegnen. Die beiden Krieger sahen nicht so aus, als würden sie den Gebrauch ihrer Waffen scheuen.

„Ich will den Kriegshäuptling sprechen.“

„Er ist in einer vertraulichen Besprechung. Kommt morgen wieder.“

„Dann lasst mich zu Drek’Thar vor. Er müsste vor wenigen Augenblicken hier angekommen sein.“

„Niemand betritt die Feste. Der Kriegshäuptling wünscht nicht gestört zu werden.“

„Sagt ihm-“

Die Wache beugte sich zu ihr herunter. Spucketröpfchen trafen ihr Gesicht, als er zischte: „Sehe ich aus wie der Laufbursche eines dahergelaufenen Weibs vom Land? Verschwindet, sonst mach ich Euch Beine!“

Enttäuscht und verärgert kehrte sie um. Ihr stand nicht der Sinn danach gleich ins Gasthaus zurückzukehren, also beschloss sie, sich ein wenig in der Stadt umzusehen. Sie passierte gerade einen kleinen Teich, an dem ein blauhäutiges Wesen saß und seine Angel auswarf, als aus einer der umliegenden Hütten ein Schmwerzensschrei ertönte, gefolgt von derben Flüchen. Sie beeilte sich dem Schrei zu folgen und stieß auf einen Orc mittleren Alters, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden neben einem Schmiedehammer kauerte und seine Hand in einen Eimer dreckigen Wassers tauchte. Rasch trat sie an ihn heran und zog seine Hand aus der schmutzigen Brühe.

„Au! Verfluchtes -“

Sie unterbrach ihn, bevor er ihr Schimpfwortrepertoir um einiges reicher machen konnte.

„Es wird sich entzünden! Seht doch, da ist die Haut aufgeplatzt. Ihr könnt froh sein, wenn das Dreckwasser nicht Euer Blut vergiftet.“

Schnell zog sie ein sauberes Tuch und ein Fläschchen aus ihrem Beutel und ignorierte die Beleidigungen, die ihr entgegenschlugen, als sie die brennende Flüssigkeit über die WUnde laufen ließ. Schließlich tupfte sie sorgfätig die Ränder trocken und begutachtete das Ausmaß der Verletzung.

„Das sieht böse aus. Der Knochen ist gebrochen und durch die Haut getrieben. Das werden wir richten müssen.“

Dem Orc traten Schweißperlen auf die Stirn.

„Ich hoffe, Ihr wisst, was Ihr da tut…“

„Keine Sorge. Ich mache das nicht zum ersten Mal. Habt Ihr Gebranntes im Haus?“

Einen Moment lang zögerte er, doch dann deutete er mit dem Kopf in Richtung einer Vorratskiste. Sie holte eine Flasche Fusel daraus hervor – zweifellos das gleiche billige Gebräu, das seinen Atem so unangenehm machte -, und drückte sie ihm in die gesunde Hand.

„Nehmt ein paar große Schlucke davon. Das betäubt den Schmerz.“

Er schüttelte den Kopf.

„Es geht schon. Ohne dieses Teufelszeug wäre das gar nicht erst passiert!“

„Ich meine nicht die Schmerzen, die Ihr jetzt fühlt, sondern die, die ich Euch gleich zufügen muss. Trinkt.“

Obwohl der Lichtschein der Öllampe sein Gesicht nur unzureichend beleuchtete, konnte Aanug ihn erblassen sehen. Sie wartete ab, bis er getrunken hatte und sein Blick sich etwas trübte. Dann hielt sie ihm den Griff ihres Messers vor das Gesicht.

„Draufbeißen“, befahl sie knapp. „Ich zähle bis drei. Eins -“

Und mit einem Ruck zog sie an dem Finger, so daß die Knochen wieder in ihre Position rutschten. Während der Orc noch erbärmlich stöhnte, sprach sie ihre Bitte an die Elemente aus ihr die Kraft der Heilung zu gewähren und beobachtete, wie die Wunde sich schloss. Zufrieden legte sie eine Schiene an, die den Finger fixierte.

„Es wird noch eine Weile dauern, bis der Knochen wieder fest zusammengewachsen ist. Beim nächsten vollen Mond könnt Ihr die Schiene abnehmen, dann ist die Hand so gut wie neu.“

Sie verstaute ihre Sachen wieder in ihrer Tasche.

„Danke, Schamanin“, sagte ihr Gegenüber kleinlaut, nachdem er mit der guten Hand das Messer aus dem Mund genommen hatte. Auf dem Griff zeichneten sich seine Zahnabdrücke ab. Hektisch ließ er den Blick durch die Hütte wandern.

„Ich kann Euch nicht mit Gold bezahlen. Ich bin noch nicht lange in der Stadt, und die Konkurrenz ist groß. Bisher wirft mein Geschäft noch nicht viel ab…“

„Ihr schuldet mir nichts.“

Er protestierte. Dann fiel sein Blick auf das Messer in seiner Hand.

„Vielleicht kann ich Euch doch etwas geben, was Euch von Nutzen sein wird. Kommt morgen wieder her. Und wenn es Euch gefällt, geht zu Makaru und bestellt ihm meinen Gruß. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Er kann Euch in der Kunst des Bergbaus unterweisen. Mit Erzen lässt sich dieser Tage nicht schlecht Gold verdienen. Ihr findet ihn ein paar Hütten weiter hier im Tal der Ehre.“

„Das ist sehr freundlich von Euch. Jetzt ruht Euch aus. Und lasst in Zukunft die Finger von Eurem Werkzeug, wenn Ihr gefeiert habt.“

Er nickte düster. Noch einmal ermahnte er sie, ihn am nächsten Tag  aufzusuchen, damit er ihr für ihre Hilfe danken konnte. Dann brachte er sie zur Tür.

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