Gespannt nahm Aanug das merkwürdige Gebilde entgegen, das der Händler ihr reichte. Sie achtete darauf, es ebenfalls an dem gelblichen Stück anzufassen. Etwas von der rosafarbenen Masse lief als Tropfen über ihre Finger. Es war kalt wie Schnee! Herzhaft biss sie in die Masse hinein, erschrak und spuckte unwillkürlich aus.
„Es beißt in die Zähne!“ entfuhr es ihr, während das Ziehen abklang.
Der Händler strafte sie mit einem abfälligen Blick.
„Ihr müsst daran lecken.“
Fast sicher, daß er sich einen Scherz mit ihr erlaubte, ließ sie den Blick schweifen. Tatsächlich! Da hielt noch jemand diese sonderbare Nahrung in der Hand, und er aß es wie ein Wolf trank, nur langsamer. Vorsichtig drückte sie die Zunge gegen die Masse und zog sie wieder ein. Es war süß! Süß und kalt und irgendwie… fruchtig. Es schmolz auf der Zunge und glitt dann kühl die Kehle hinab. Ein entzücktes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Jetzt wusste sie, was Drek’Thar daran fand. Es war großartig!
„Da bist du also nach all der Zeit endlich in unserer schönen Stadt und denkst nur daran ein Eis zu essen statt deinem Häuptling die Ehre zu erweisen?“ grollte eine dunkle Stimme hinter ihr.
Vor Schreck fiel ihr das Eis aus der Hand, doch was sie sonst bekümmert hätte, zählte in diesem Moment nichts mehr. Mit einem Jubeln fiel sie ihm um den Hals, machte sich wieder los, lachte und knuffte ihn kräftig in die Seite.
„Go’el, du…“
„Psssst…“
Er legte ihr einen Finger an die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann flüsterte er ihr zu: „In der Öffentlichkeit nenn mich Thrall. Und mit deinen Beschimpfungen warte bitte, bis wir unter uns sind, sonst muss ich dich zum Schein abführen und einsperren lassen, was ich sehr bedauern würde. Obwohl dir ein bißchen Züchtigung wahrscheinlich nicht schaden würde.“
Er grinste breit. Dann wandte er sich an den Händler.
„Noch ein Eis für die junge Dame hier.“ Und, an Aanug gerichtet, fragte er: „Was hast du dafür gezahlt?“
Der Händler beeilte sich ihr ins Wort zu fallen: „Die junge Dame bekommt noch ihr Wechselgold. Und das hier geht natürlich auf’s Haus. So ein Missgeschick kann doch jedem mal passieren…“
Schnell gab er Aanug einen Großteil der Münzen wieder, die er eben noch von ihr entgegengenommen hatte, und reichte ihr ein neues Eis. Go’el bedachte ihn mit einem stechenden Blick und sagte betont deutlich: „Lass es mich wissen, wenn dich jemand hier betrügen will, meine Liebe. Es wird mir ein Vergnügen sein, demjenigen sofort die Handelslizenz für ganz Durotar zu entziehen.“
Eifrig packte der Händler seinen Stand zusammen und trat die Flucht an. Go’el grinste.
„Jetzt legt dich niemand mehr auf’s Kreuz. Der rennt direkt ins nächste Wirtshaus und warnt alle anderen Händler vor dir.“
Er bot ihr den Arm an.
„Stadtführung gefällig?“
„Und deine ach so vertrauliche Besprechung?“
Er zuckte die Schultern.
„Ich hab mir den Rest des Tages freigenommen. Ich bin jetzt Kriegshäuptling. Ich darf das.“
Sie lachte.
„Dann gerne, großer Kriegshäuptling. Zeig mir deine Stadt.“
Alle Ängste und alles Unwohlsein waren verflogen. Es tat gut, einen alten Freund zur Seite zu haben. Die Stadt war nicht weniger laut oder turbulent, doch niemand wagte es mehr sie umzurennen oder sie mit seinem Reittier an die Hauswände zu drängen. Thrall zeigte ihr die Gebäude, auf die er besonders stolz war, machte sie auf die besten Händler und Handwerker aufmerksam und warnte sie vor den Gassen, die sie besser nicht unbewaffnet betreten sollte. Zum ABendessen zogen sie sich in seine Privaträume zurück und tauschten sich über die Erlebnisse der letzten Jahre aus. Die Zeit verging wie im Flug (eine Erfahrung, die Aanug erst noch machen sollte), doch schließlich forderte der lange, anstrengende Tag seinen Tribut. Aanug konnte kaum mehr die Augen offenhalten.
„Ich denke, ich sollte mich auf den Weg ins Gasthaus machen. Sehen wir uns morgen?“
„Bleib doch noch ein wenig. Wenn niemand mehr wach ist um dich gehen zu sehen, glauben alle, du hättest die Nacht mit mir verbracht. Und wenn sie denken ich hätte eine Gespielin, schicken sie mir nicht mehr ihre herausgeputzten Töchter her sondern überbringen mir ihre Nachrichten selbst. Das ganze Weibsvolk in der Feste macht mich nervös.“
Sie warf eine Beere nach ihm.
„Ich gehe. Wenn du deine Ruhe haben willst, nimm dir eine Frau, dann ist dein Volk zufrieden.“
Er nahm die Beere auf, die zwischen den Krügen liegengeblieben war, und schob sie sich in den Mund.
„Geh mir noch einmal damit auf die Nerven, und ich schreibe deiner Mutter, daß ich einen Ehemann für dich gefunden habe. Dann wirst du mit dem Eisverkäufer verheiratet und kannst ihm viele kleine Halsabschneider gebären.“
Sie lachte.
„Ein Leben lang gratis Eiscreme… Könnte doch schlimmer kommen. Gute Nacht!“
Er drückte sie an sich.
„Bis morgen, Aanug.“
Ihr entging nicht, daß sich auf seinen Wink hin eine Wache an ihre Fersen heftete, um sie sicher zum Gasthaus zu geleiten, doch sie war zu müde um zu protestieren. Kaum da ihr Kopf das Lager berührte, schlief sie ein.