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Aeluinya

Bis die Liebe zerbricht

Ich blinzelte in die Sonne. Die Umgebung war verschwommen. Schwarzer Rauch tanzte am Himmel über mir. Heiße Luft brannte in meiner Nase. Es roch nach verkohlter Erde und nach verkohltem Fleisch. Jede Bewegung war purer Schmerz. Ich krümmte mich auf dem Boden, doch der Schmerz suchte sich seinen Weg durch jeden erdenklichen Winkel meines Körpers. Ich keuchte und stand auf. Eine Hand hielt mich an meinem rechten Unterarm. Sie war von einem Goblin. Ich schaute zu meiner rechten Seite, doch an der Hand befand sich kein Körper mehr. Langsam löste ich die Finger der verkohlten Goblinüberreste und ließ sie zu Boden fallen. Der Sand flimmerte in der Hitze. Ich hustete und versuchte ruhig zu atmen, klopfte mir den Dreck von der Robe, richtete meinen Umhang und ging mit aufrechtem Gang Richtung Gadgetzan.

Um mich herum lagen verbrannte Goblins, Menschen, Orcs, Zwerge. Einige waren noch am Leben, riefen um Hilfe. Andere gingen gerade mit leisen Schreien in die Geisterwelt über oder waren schon dort. Ich ging unbeeindruckt weiter, schob die hilfesuchenden Hände zur Seite und stieg über schwarze Überreste, die niemandem mehr zuzuordnen waren. Derotain Matschnipper kam mir entgegengerannt. “Wo ist er? Er war mit Euch unterwegs. Bei den Titanen, wo ist der Goblin? Wo ist Krinkle?” Ich blieb stehen, schaute zum hektisch umherschauenden, zwergischen Schmiedemeister hinunter und antwortete ohne jede weitere Regung: “Er ist tot.” Mein Blick hob sich wieder und ich ging weiter Richtung Gadgetzan. Aus meinem Augenwinkel sah ich Derotain mit gesenktem Kopf auf seine Knie fallen. Tränen liefen über meine verrußten Wangen, mein Atem wurde mit jedem Schritt schneller. Ich rannte los. Im Hintergrund wurden die Schreie und Wehklagen immer leiser. Ich rannte weiter bis ich nichts mehr davon vernahm und der unterdrückte Schmerz des eigenen Körpers auf sich aufmerksam machte. Ich schrie laut auf und fiel zu Boden. Auf dem Rücken liegend schaute ich in die grelle Sonne. Sie war kraftvoll und warm wie an meinem ersten Tag in Tanaris. Nichts hat sich seitdem an ihr geändert. Ich schloss die Augen. “Wäre doch alles so beständig wie die Sonne in Tanaris” …

Ich sah Itarildë kurz vor unserer Trennung als Kinder. Es war die letzte gemeinsame Nacht in unserem Elternhaus. Sie schlief fest in meinem Arm als sie von meinen Tränen geweckt wurde. “Nit mehr weinen”, hauchte sie mir damals zu ohne zu wissen, dass der nächste Tag uns entzweireißen würde.

Ich sah Itarildë kurz vor unserer Trennung als Erwachsene. Es war die letzte gemeinsame Nacht als Schwestern. Ich drückte meine Händflächen fest gegen ihre als Tränen über ihre Wange liefen. “Nicht weinen, Ita”, flüsterte ich ihr damals zu ohne zu wissen, dass der nächste Tag mich entzweireißen würde.

Meine Augen öffneten sich langsam und schauten in die immer noch heiß brennende Sonne über Tanaris. Die Hände suchten eine Stelle im feinen Sand der Wüste, um sich aufzustützen. Ich drückte mit zitternden Armen meinen Körper in die Höhe und versuchte aufzustehen. Meine Gedanken kreisten immer noch in den Erinnerungen an die Nacht als das Band der Schwestern durchtrennt werden sollte. “Was da auch kommen mag”, murmelte ich während ich mich stolpernd durch die Sanddünen bewegte. “Nie vergessen … tausend Jahre”. Mein Magen drehte sich wie meine Gedanken. Ich spuckte mein Frühstück in den Sand, hustete und wischte mir mit dem Ärmel über meinen Mund. Alamma wollte mich schützen. Alamma wollte Ita schützen. Doch bei allem, was er getan hat, hat er letztlich versagt. Seit jener Nacht habe ich ihn nicht mehr gesehen. Irgendetwas ging schief. Irgendetwas geht immer schief …

“Konzentrier dich, Ael”, rief Alamma als ich in Itarildës Geist eindrang. Ich fühlte die kalten Handflächen meiner Schwester und hatte nur einen immer wiederkehrenden Gedanken: “Verzeih mir.” Dann sah ich ihren Schmerz. “Ael, lass die Magie fließen”, hörte ich im Hintergrund die Stimme des Hexenmeisters. Ich schloss schnell die Augen, doch in meinem Kopf hörte ich unentwegt ihre Qual. Itas Finger bohrten sich fest in meine. “Verzeih mir, verzeih mir, verzeih mir”. Ich biss mir auf die Unterlippe. Blut tropfte über mein Kinn auf den Boden. Mein ganzer Körper wehrte sich gegen das Ritual.

“Ita … verzeih …”

Ich zog meine Hände zurück, atmete tief durch und ging zu Alamma. Meine Schritte waren unsicher. Die Welt drehte sich vor meinen Augen, doch meine Gedanken waren klar und deutlich. Ich schaute zur Seite. Dort stand in einiger Entfernung der treue Gefährte, den Itarildë so sehr in ihr Herz geschlossen hatte. “Gorrtak, würdet Ihr Euch um meine Schwester kümmern? Bitte.” Mit großen Augen schaute ich ihn lächelnd an. Er nickte und ging langsam zu ihr.

Alamma blickte traurig zu mir. “Die Trennung funktioniert nicht, wenn das Band zu stark ist.” Er schüttelte den Kopf. “Ich hätte es wissen müssen, ich hätte es sehen müssen. Es ist so deutlich”, sagte er während seine Augen zwischen Ita und mir hin und her sprangen. “Schaut euch beide an. Welche Macht soll es schaffen, dieses Band zu zertrennen? Welche Macht ist stark genug für das Unmögliche?“ Ich legte meine Hände auf seine Schultern und drückte diese freundschaftlich. Ich fühlte keinen Schmerz mehr, kein Leid, keine Traurigkeit.

Ich fühlte nur noch den Sog der Unterwelt, der mich immer mehr verzehrte.

Itarildë wurde von Gorrtak gerade an einen Baum gesetzt und bekam von ihm zu trinken als ich zu ihr schaute. Niemals würde ich zulassen, dass sie mit den gleichen inneren Dämonen zu kämpfen hat wie ich. Meine Hände drückten Alammas Schultern fester und meine Augen formten sich ein letztes Mal zu lodernden Schlitzen. “Alamma, lasst uns tun, was zu tun ist.”

Ich stand vor Gadgetzan. Während meine Erinnerungen an die Nacht der Trennung meine Gedanken einnahmen, waren meine Beine weitergegangen. Ich schaute erschöpft auf die im Vergleich zu Orgrimmar doch sehr spärlichen Mauern. “Verdammt. Wart Ihr da draußen?”, hörte ich eine Stimme rufen. Eine Stadtwache kam auf mich zugerannt. Ich nickte müde. “Habt Ihr ihn gesehen? Es haben nur wenige überlebt. Er war da. Er war da draußen!” Ich schaute verwirrt. “Na, der große Drache. Todesschwinge. Alles niedergebrannt hat er … zum Glück nicht Gadgetzan. Seid froh, dass Ihr überlebt habt. Und das sogar fast unverletzt.” Ich nickte abermals. “Verzeiht”, antwortete ich, “ich … ich … muss weiter.” Die Wache blickte mich verwundert an und ging zur Seite.

“Ael … Ael?”, hörte ich hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um. Itarildë saß immer noch an dem Baum, gestützt von Gorrtak. Sie schaute mich ängstlich an und schüttelte den Kopf. “Nicht. Bitte, Ael. Nicht.” Aus meinen Augen schoss ein dunkles Glühen. “Du musst mich vergessen. Das ist der einzige Weg, dich zu retten”, sagte ich mit ruhiger Stimme und ging langsam auf sie zu. Um mich herum wirbelte der Nether. Gorrtak sprang auf und stellte sich schützend vor die Jägerin, doch dem Band der Schwestern hatte er nichts entgegenzusetzen. “Wie Tag und Nacht”, rief ich als der Krieger mit einer unscheinbaren Handbewegung zu Boden ging. “Wie Feuer und Eis”, flüsterte ich. Itarildë schaute mich traurig an und griff nach meinen Armen als ich sie packte und zu mir heranzog. Mein Körper schien das Mondlicht zu verschlingen. “Wie Schatten und Licht”, hauchte ich ihr sanft entgegen. Doch bevor ich sie in einen tiefen Schlaf versetzte, formte ihr Mund noch ein letztes Wort. Und für einen Augenblick schien das Universum andächtig und friedlich zu lauschen als ihre Stimme in mein Ohr drang.

„Lunya.“

Vorsichtig legte ich meine Schwester auf den Boden, eine Hand schützend unter ihrem Kopf, und schaute wartend zu Alamma, der hastig in seiner Tasche kramte, eine Ampulle hervorholte und mir diese zuwarf. Noch einmal hielt ich Itarildë in meinem Arm. Noch einmal tropften meine Tränen auf ihr Gesicht. Doch diesmal wachte sie nicht auf. Diesmal drückte sie nicht meine Hand, um wenigstens für einen Moment die Welt in Einklang zu bringen. Nein, diesmal sollte sie ohne Schmerz und Trauer erwachen. Meine Hände zitternden als ich die Ampulle öffnete und sie an ihre Lippen ansetzte. “Verzeih mir.” Ich kippte die Flüssigkeit in Itas Rachen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann stand ich auf, ging zu Gorrtak und klopfte ihm auf seine Rüstung. Er hatte zum Glück keine schweren Verletzungen davongetragen. “Es tut mir leid, mein Freund.” Ich drehte mich zu Alamma, der in sich zusammengesunken auf dem Boden saß. Er schaute mich fragend an. Sein Blick wirkte müde und leer. Traurig lächelte ich ihm zu und verschwand in der Dunkelheit.

Ich saß in Gadgetzan auf einer Kiste. Um mich herum wurden inzwischen die Verwundeten des Drachenangriffs behandelt. Ich griff an meinen Gürtel, nahm meine Wasserflasche und trank einen kräftigen Schluck daraus. Sie war fast leer. Die letzten Tropfen ließ ich über mein Gesicht laufen und legte die Flasche danach behutsam zwischen meine Füße auf den Boden. Aus meinem Beutel holte ich ein kleines Buch hervor und strich vorsichtig mit den Fingern über den von Kampfesspuren gezeichneten schwarzen Ledereinband. Es war mein Tagebuch, das ich während des Studiums der Nethermagie in Silbermond begann zu schreiben. Es hatte noch genau eine freie Seite. Ich seufzte als ich durch die Seiten blätterte, doch ich wusste auch, dass das Ende dieses Buches nicht das Ende meiner eigenen Geschichte sein wird. Nein, dieser Zeitpunkt war noch lange nicht erreicht. Aber die Zeit war reif, diesen Teil meiner Geschichte zu beenden und ein neues Buch, ein neues Kapitel des Lebens zu beginnen. Ja, die Welt war im Wandel. Überall um mich herum – vor allem aber in mir drin.

Und so begann ich zu schreiben.

Die Sonne in Tanaris scheint immer noch kraftvoll und warm und ich weiß nicht wie viele Nächte inzwischen vergangen sind, denn Tag für Tag suchen mich immer wieder die gleichen Erinnerungen heim und bohren sich durch meinen Schädel. Die Nethermagie habe ich seit dem Abend des Vergessens nicht mehr angewandt und ob ich sie jemals wieder nutzen werde, vermag ich nicht zu sagen. So ziehe ich nun von Landstrich zu Landstrich, um irgendwo meinen inneren Frieden zu finden. Doch tief in mir weiß ich, auch wenn sich der Rest meines Verstands dagegen wehren mag, dass ich meine Schwester irgendwann wiedersehen werde und sie sich an mich erinnert. Denn als ich Itarildë in besagter Nacht zurückließ, flüsterte ich ihr den Satz ins Ohr, den mein Herz schon einmal sprach. Und ich fühlte in ihrer letzten Berührung, dass dieser Satz letztendlich zur einzigen Wahrheit aller Prophezeiungen werden wird.

„Wir wollen uns nie vergessen. Auch wenn es tausend Jahre dauert, wir finden uns wieder.“

Bis die Liebe zerbricht.

Aeluinya Schattenklang

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